Wenn du eine Revolution planst, denk an die Zwischenräume!

Die hoffnungsvolle Botschaft ist, dass es gut um den Raum bestellt ist, denn trotz neuer Raumkategorien, die durch die Verlagerung vieler privater und öffentlicher Belange in den virtuellen Raum entstehen, braucht es immer noch die Straße als niedrigschwelligen öffentlichen Ort des Austauschs, des Diskurses, des Kampfes. Wie die Bilder aus Nordafrika und dem arabischen Raum zeigen beschleunigten Internet und die sozialen Netzwerke zwar ein Aufbegehren, schlussendlich wurden die relevanten politischen Siege auf der Straße ausgefochten. So beginnt mein persönliches Fazit der Tagung „Revolution im Zwischenraum“ mit der Erkenntnis aus u.a. dem Vortrag von Slobodan Djinovic und Rania Gafaar, dass eine Revolution reale, virtuelle und digitale Räume braucht, um sich in voller Konsequenz entfalten zu können und nicht nur durch das Internet ermöglicht wird. Rania Gaafar ging sogar so weit, zu behaupten, dass die Arabische Revolution auch ohne Facebook, Twitter et al. passiert wäre, denn nach ihrer Beobachtung vor Ort war die Zeit ohnehin reif für grundlegende Veränderung gewesen.

Soviel zum einen thematischen Teil der Tagung, der andere Teil ist für mich jedoch wesentlich schwerer zu fassen, da mir bis zum Schlussvortrag der Sprung vom „Arabischen Frühling“ über Stuttgart 21 zur Münchener Partizipationspolitik nicht ganz klar und deutlich geworden ist. Sicher, der gemeinsame Nenner ist die digitale Revolution, die täglich neue Gadgets und Applikationen schafft, neue Demokratisierungstools generiert, die in totalitär geführten Ländern dringend gebraucht werden. Auch klar, dass diese Tools Strategien hervorbringen, die auch hierzulande im Protest für oder gegen v.a. städtebauliche Maßnahmen zum Einsatz kommen können. Aber ob ich selbst Stuttgart 21 und die Open Data-Bewegung in die Revolutionsschublade einsortieren würde, halte ich für fraglich. Hier denke ich ist der von Peter Kusterer (IBM) eingeführte Begriff der Evolution angebrachter.

Mit Peter Kusterer wäre ich auch gleich bei den Beiträgen, die ich weder unter dem Oberthema „Revolution im Zwischenraum“, noch unter dem Panel-Thema „Inside Out“ mit irgendwas verbinden kann. Beide Vorträge, „The Crystal“ von Siemens und die „IBM Smarter Cities Challenge“, waren von Medienstrategen vorbereitete Vorträge, die samstagnachmittags-lässig vorgetragen wurden und alleine deshalb schon anrüchig erscheinen. Frappierend fand ich die Diskussion der Konzepte und die Antworten auf die Fragen zu den Konzepten, die offensichtlich außerhalb des Vorstellungsvermögens der Vortragenden lagen.

Von IBM lasse ich mir die „kostenlose Unternehmensweiterbildung“ in städtischen Problemstellungen, wie Gerhard Gross von der Stadt München betonte, noch als rein virtuelle Maßnahme verkaufen, aber Siemens greift, allen Ablehnungen zu trotz, mit einem dauerhaften Baukörper massiv in den Stadtkörper ein und ist somit auch in der Verantwortung eines Akteurs in der Stadtentwicklung.

Ich möchte jetzt nicht gleich die Gentrifizierungs-Keule schwingen, da ich das Gelände in London nicht kenne und schon gar nicht weiß, ob dort vielleicht eine Veränderung in diese Richtung gut wäre, aber würde ich Siemens schon gerne empfehlen, sich mal mit Stadtplanern zusammen zu setzen, um vielleicht die technischen Lösungen an den Raum anzupassen, nicht den Raum an die Technik. Da Siemens global agiert und vor allem die Megastädte ins Visier genommen hat, denke ich, es könnte für beide Seiten ein großer Mehrwert aus einer solchen Verbindung entstehen. Schließlich, und das wird ja mittlerweile gerne aus den schönen Bildern rausgerendert, ist die Stadt ein Lebensraum und das vor allem von Menschen, nicht von Kraft-Wärme-Kopplern, Solar- und Grauwasseraufbereitungsanlagen.

Diese Menschen sind es dann, die vor allem in Deutschland auf einmal beteiligt werden wollen. Sie wollen mitsprechen, ihre Expertise einbringen (Dirk von Gehlen sprach hier sehr treffend von der Amateurisierung der Welt), Dinge verändern, sich Räume aneignen usf. Was das bedeutet, kann man am Casus Stuttgart 21 besonders gut studieren. Aber es wurden auch einige Münchener Beispiele vorgestellt, die zwar bei weitem nicht einen solchen Protest hervorgerufen haben oder werden, wie eben Stuttgart 21, aber für die bayrische Landeshauptstadt schon so was wie eine Revolution bedeuten. Erstaunlich offen zeigten sich die Anwesenden, meist Grünen Landes- und Stadtpolitiker, die schätzungsweise gut ein Drittel aller Teilnehmer ausmachten. Vor allem bei Themen, die sonst in Verwaltungen eher Ablehnung provozieren: Open Data wurde lebhaft diskutiert, ebenso wie E-Partizipation, Verwaltungen in sozialen Netzwerken und Formate wie Abgeordneten-Watch oder „direkte“ Mail-Kanäle zu Oberbürgermeister Ude und anderen ranghohen Politikern.

Ein erstaunlich junges Bild der bayrischen Landes- und Stadtpolitik zeigte sich in Tutzing, welches seinen Gipfel in der Abschlussrunde erreichte, in der der Kreisverwaltungsreferent Wilfried Blume-Beyerle, seines Zeichens u.a. Flasch-Mob-Verhinderer und Oliver Kost, seines Zeichens verhinderter Flash-Mob-Veranstalter, sich an einem Podium beteiligten. Brav auseinandergesetzt, am rechten und linken Rand der Runde, doch im Dialog. Solche Momente stimmen hoffnungsvoll und lassen die Vermutung wachsen, dass es in Bayern gerade keine digitalen Zwischenräume benötigt, um eine Revolution zu starten. Die Revolution kommt hier schleichend, vermutlich am Stammtisch, an dem aber immer mehr jüngere Aktivisten teilnehmen. Dort bringen diese ihre teils wirklich revolutionären Gedanken in die Politik von Morgen ein und lancieren ihre Themen ganz unspektakulär und ohne, dass vorher die Welt in Schutt und Asche liegen muss.

Wäre ja auch zu schade um das schöne Alpenpanorama und den Starnberger See, denn die Idylle der Evangelischen Akademie befriedet selbst die hitzigsten Köpfe, von Jens Best mal abgesehen, und lässt ein weites aber fokussiertes Denken zu. Trotz oder wegen allem – Schön war`s!

So viel steht fest: frühmorgens am Starnberger See gibts nur Evolution, keine Revolution!

P.S.1: Leider habe ich mich in das Bild des letzten Absatzes dermaßen verliebt, dass ich das jetzt nicht mehr ändern will und jetzt das Postscriptum herhalten muss, um noch loszuwerden, dass natürlich einige wesentliche Fragen offen blieben bzw. nicht gestellt wurden und mir der Begriff der Beteiligung zu häufig mit Bestimmung verwechselt wurde. Ich weiß, ich reite da immer drauf rum, aber diesmal lasse ich es hiermit bewendet sein, um das Bild der eingeführten Idylle noch ein bisschen weiter halten zu können. In diesem Sinne – Servus! bis „Auf nach Tutzing 2013“

P.S.2: Die passende Musik zur Alpenromatik gibt es hier oder hier