Auf das, „was draußen wartet“, möchte die 6. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die heute abend feierlich eröffnet wird, verweisen.

Michael Schmidt, Ohne Titel (2010), aus der Serie Frauen, 1997-99

Wer die letzten Wochen aufmerksamen Auges durch Berlin spaziert ist, hat umgekehrt in einem ihrer „Draußen“ – dem Berliner Stadtraum – vielleicht schon ihre Vorboten entdeckt. Ohne jegliche schriftliche Beigabe sind die ausschnitt-haften Frauenporträts des Künstlers Michael Schmidt zwischen die werbenden oder anklagenden Botschaften des Berliner Plakatwalds geklebt und geben dem uneingeweihten Betrachter ein Rätsel auf.

Das zweite „Draußen“ der Biennale ist die globalisierte Kunstwelt. Die Arbeiten der internationalen Künstler sollen, wie es die Kuratorin Kathrin Rhomberg formuliert, die ‘Wirklichkeit’ in den Blick nehmen – eine globale, multiperspektivische Wirklichkeit. Dass es sich dabei auch um die kritische Funktion der Kunst gegenüber der Gegenwart und ihren Transformationen geht, die auch politische Dimensionen annimmt, wird etwa im Beitrag Avi Mograbis deutlich. Kritik auch, und nicht zuletzt, an dominanten Diskursen aus der Perspektive des Westens.

Die Biennale fährt also zweigleisig: Neben einer transnationalen Perspektive sucht sie gezielt nach lokalem Bezug. Dass die Ortswahl dabei auf mehrere Standorte in Kreuzberg fiel und die Pressekonferenz in den Räumlichkeiten des alevitischen Kulturvereins stattfand, ist in dieser Hinsicht nur konsequent. Als Hauptausstellungsort fungiert ein ehemaliges Kaufhaus (Cremer und Wolffenstein, 1913), das in unrenoviertem Zustand und geprägt von jahrelangem Leerstand den Blick automatisch auf die materielle Präsenz des Hauses mitsamt seiner Risse und bröckelnden Anstriche lenkt. Die temporäre In-Besitznahme des Hauses wird bewusst inszeniert: Die bei den Vorbereitungen zur Ausstellung herausgenommene Teile sind im Obergeschoss von Marcus Geiger zu einer künstlerischen Installation arrangiert.

Das Haus ist also ein Anti-White Cube, in den sich die Ausstellungsstücke im günstigen Fall dialogisch einfügen. Dezidiert etwa in der Arbeit Das Haus bleibt still (2010) von Adrian Lohmüller, der über ein in die Ausstellungsräume und verborgenen Schächte des Gebäudes eingefügtes Rohrnetzwerk Wasser auf einen Salzstein leitet, das auf ein Federbett tropft und von dort aus in die Luft verdunstet. Still bleibt das Haus, aber es interagiert über eine Art Stoffkreislauf selbst mit dem Besucher, der die befeuchtete Luft einatmet.

Es bleibt abzuwarten, ob die Biennale in ähnlicher Weise Synergien mit dem lokalen Kreuzberger Umfeld eingeht, oder ob Michael Schmidts Plakate eine Art Insider-Hinweis ans Kunstpublikum bleiben, der in seiner Gänze nur für den bereits Eingeweihten dechiffrierbar ist. Jedenfalls wagt diese Biennale Spagate und Spannungen – etwa auch in der Einbeziehung einer Ausstellung der eine gänzlich andersartige ‘Wirklichkeitsnähe’ thematisierenden zeichnerischen Arbeiten Adolph Menzels (1815-1905) in der Alten Nationalgalerie. Verbunden sind diese zumindest mit dem Beitrag Lohmüllers, durch ihre stoffliche Wirkung ebenso wie durch das Motiv des Federbetts, mit dem Lohmüller wohl eine Zeichnung Menzels aufgreift.

Die Vernissage findet heute abend statt und ist öffentlich und kostenfrei. Infos zum Programm finden sich auf der Seite der Kunst-Werke. Eine Tour über die Biennale mit JungeMeister.net ist für die übernächste Woche vorgesehen.