//Gastbeitrag von Georg Jahnsen, Mumbai//

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Dharavi, Fotograf Georg Jahnsen, mehr Bilder

Was für ein Stadtviertel ! Es liegt im Herzen einer globalen Metropole, und hat direkten Kontakt zu einem innerstädtischen Flussarm mit ausgedehnten seitlichen Grünräumen. Eine klassische Hierarchie der Erschließungssysteme macht das gesamte Quartier hervorragend erreichbar und verknüpft es mit dem Verkehrsnetz der Metropole: eine ringförmige Hauptstrasse führt um das Gebiet herum, einige mittelgroße Nebenstraßen durchqueren das Quartier und die restliche Erschließung erfolgt über autofreie Gassen, die sich an vielen Stellen zu kleineren Platzabfolgen aufweiten. Innerhalb des Gebietes erfolgt die Erschließung fast ausschließlich auf diesen gefahrlos von allen Bewohnern zu begehenden Gassen.Die Hauptnutzungen Wohnen und Arbeiten liegen eng beieinander – oftmals in der selben Gasse oder im selben Gebäude. Weitere Wege von der eigenen Wohnung zur Arbeitsstätte entfallen.

Die Gebäude sind größtenteils zweistöckig. Die Erdgeschosszone ist meist den vielfältigen Gewerbe- und Produktionsnutzungen vorbehalten und daher mit einer größeren Geschosshöhe ausgestattet. Die kleinteilige Parzellierung des Gebietes sorgt für eine hohe Mischung der Nutzungs- und Eigentümsverhältnisse. Die Dichte des Gebietes ist mit einer GFZ von ca. 2,0 – 2,5 relativ hoch. Die Bebauung erscheint um die menschlichen Bedürfnisse herum gebaut und weist daher durchweg menschliche Maßstäbe und angenehme Proportionen auf.

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Das Quartier bietet den Nutzern alle wichtigen für das Funktionieren und die Versorgung notwendigen Einrichtungen eines Stadtviertels. Produktions- und Wertstoffkreisläufe haben sich über Jahre und Generationen innerhalb des Quartiers etabliert. Eine wichtige Quelle für Wertschöpfung ist das Recycling von Wertstoffen aus (globalem) Abfall.
Die Kriterien eines modernen und qualitativ hochwertigen Städtebaus sind hier verwirklicht. Dharavi als eine Interpretation des Modells der kompakten Stadt ? Leider nur theoretisch, da in der Wirklichkeit des Quartiers zwei eher technische Aspekte das perfekte Bild zerstören:

Die Gebäude des Quartiers bestehen aus einem Patchwork von Elementen und Materialien, die Fundstücke darstellen und größtenteils als Müll zu bezeichnen sind. Die Substanz und Architektur der Gebäude – also die Morphologie der Elemente aus denen die Gesamtstruktur besteht, ist derartig schlecht, daß sie die o.g. Qualitäten zunichte macht. Hinzu kommt das vollständige Fehlen einer systematischen Wasser- Abwasser- und Energieinfrastruktur. Daraus resultieren zahlreiche Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit der Bewohner.

Diese beiden Aspekte katapultieren das Quartier zurück ins Mittelalter. Und doch beeindrucken seine überwiegend jungen Bewohner durch ihre Kreativität und kraftvolle Zuversichtlichkeit, die ihnen vieles möglich macht. Dharavi im Herzen Mumbais – ein Quartier zwischen Globalisierung und Mittelalter. Vielleicht umschreibt dies das Wesen eines der größten Slumgebiete Asiens am Treffendsten.

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Dharavi (Orthofoto, bearbeitet von Georg Jahnsen)