Der Weg der Revolution.Quelle: Felix Hartenstein

Der Gang der Revolution in der Mohamed Mahmoud Straße.

Das erste Mal war ich hier im November 2012. Auf dem zentralen Rasenrund des Tahrir-Platzes stand eine weiße Zeltstadt. Die ägyptische Flagge war allgegenwärtig. Trotzig wehte sie über den Zelten, versteckte sich in den Kronen der smogbestaubten Bäume, zierte jede Hauswand. Alle Zufahrtsstraßen zum Tahrir-Platz waren mit Metallbarrikaden und teils mit Stacheldraht abgeriegelt.

Eine davon, die Mohamed Mahmoud Straße, trifft tangential auf den südlichen Rand des großen Kreisverkehres. Sie beginnt an der sogenannten Mogamma, der Haupverwaltung der zentralstaatlichen Bürokratie Ägyptens. Auf 14 Etagen arbeitet ein Heer aus 18.000 Beamten in diesem Kolossalbau, der zwischen 1948 und 1951 im modernistischen Stil errichtet wurde.  Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, an der südöstlichen Flanke des Tahrir-Platzes, befindet sich das ehemalige Hauptgebäude der American University in Cairo (AUC) in einem vormaligen Palast in neo-mamelukischer Bauweise, umsäumt von Palmen und hohen Hecken. Der Kontrast zwischen der Wuchtigkeit der Mogamme und der beschwingenden Leichtigkeit des AUC-Gebäudes ist so typisch für die inneren Brüche und Widersprüche von Kairo.

Die Außenmauer der American University in Cairo.Quelle: Felix Hartenstein

Die Außenmauer der American University in Cairo.

Die Mohamed Mahmoud Straße verläuft vom Tahrir-Platz aus in östlicher Richtung. Zwischen dem 19. Und 25. November 2011, zehn Monate nach der „ersten Revolution“ vom Januar desselben Jahres, kam es hier zu schweren Straßenschlachten zwischen Demonstranten und der Polizei sowie zentralen Sicherheitskräften. Fast 50 Menschen wurden getötet. Aufgrund der verwendeten Schrotmunition kam es außerdem zu zahlreichen schweren Augenverletzungen, die häufig in teilweiser oder kompletter Blindheit  endeten.

Die sprühende Mona List mit Augenklappe.Quelle: Felix Hartenstein

Die sprühende Mona List mit Augenklappe.

Als ich zum ersten Mal durch diese Straße lief, wusste ich wenig über die Ereignisse, die hier vor kurzem stattgefunden hatten. Aufgrund ihrer Nähe zum Innenministerium, das mehrmals Ziel von Überfallen Demonstrierender gewesen war, war die Straße durchgehend verbarrikadiert. Alle Seitenstraßen waren durch schwere Mauern aus großen Betonblöcken blockiert, die jeglichen Zugang ins Regierungsviertel unterbinden sollten. Durch die fehlenden Autos herrschte in dem ganzen Gebiet eine ungewöhnlich entspannte Stimmung. Es entstand eine ganz neue Form von öffentlichem Raum. Die Leute liefen auf der Straße und nutzten die gesamte Fläche für ihre Aktivitäten aus. Äußerst ungewöhnlich für eine Stadt, die normalerweise für ihren mörderischen Verkehr berüchtigt ist. In dieser Zeit wurde die Mohamed Mahmoud Straße auch häufig die „befreite Straße“ genannt.

Sperrwände aus Betonblöcken wurden errichtet, um die Demonstranten vom Regierungsviertel fernzuhalten.Quelle: Felix Hartenstein

Sperrwände aus Betonblöcken wurden errichtet, um die Demonstranten vom Regierungsviertel fernzuhalten.

Am auffälligsten machte sich die neue Offenheit durch die zahlreichen übergroßen Graffitis bemerkbar, die an Häuserwänden und Betonsperren prangten. Szenen der Gewalt waren dort abgebildet. Erinnerungen an die Schlachten mit dem Sicherheitsapparat. Auch politische Botschaften gab es. Viele nahmen Bezug auf die Rechte der Frauen und sprachen sich deutlich gegen die Diskriminierung und sexuellen Belästigungen aus, die im Nachgang der Revolution ebenfalls am Tahrir-Platz stattgefunden hatten. Als besonders verstörend empfand ich die Wand der Märtyrer an der Gartenmauer der AUC. Auf Abbildungen von mehreren Metern Höhe waren hier die Konterfeie verstorbener „Revolutionshelden“ angesprüht. Die Gesichter gequält, entstellt, die Lippen aufgeplatzt und die Nasen gebrochen, die Stirn Blut verschmiert. Diese Graffitis waren anhand von Fotoaufnahmen entstanden, die von den misshandelten Opfern von Polizeigewalt und Folter gemacht wurden, nachdem die Leichen irgendwo wieder aufgetaucht waren.

Verstörende Darstellung der "Helden der Revolution"Quelle: Felix Hartenstein

Verstörende Darstellung der “Helden der Revolution”.

Die Graffitis in der Mohammed Mahmoud Straße und an anderen Stellen wurden mehrfach übermalt. Staatlich verordnete Tilgungsaktionen. Doch bereits am nächsten Morgen waren die Aktivisten bereits zurück und sprühten abermals ihre Nachrichten und Bilder an die Fassaden. Einige der Bilder haben im Laufe der Zeit immer wieder Veränderungen durchlaufen. Über einer Darstellung zweier sich küssender Polizisten stand zunächst der Spruch „All cops are gay“. Eines Tages wurde er jedoch übermalt mit dem Slogan „Homophobia is not revolutionary“. So blieb das Ensemble aus Darstellungen und Versen immer in Bewegung. Bei jedem meiner folgenden Besuche hatte sich wieder etwas verändert, waren Graffitis verschwunden oder neue dazugekommen. So trugen alle Gesichter eines Tages solidarisch eine schwarze Augenkappe, ein Tribut an die Widerständler, die bei den Straßenschlachten ihr Augenlicht verloren hatten.

Erst "all cops are gay", dann "homophobia is not revolutionary".Quelle: Felix Hartenstein

Erst “all cops are gay”, dann “homophobia is not revolutionary”.

Ende November 2013 war ich nach über einem halben Jahr Abwesenheit noch einmal in der Mohamed Mahmoud Straße. In der Zwischenzeit gab es die „zweite Revolution, die zum Sturz Mursis durch das Militär führte. Der Tharir-Platz und die angrenzenden Straßen sind wieder geöffnet, die Blechlawinen haben sich ihr Asphalthabitat wieder zurück erobert. Es gab keine erneute Übermalungsaktion, viele der mir bekannten Graffitis waren noch sichtbar. Die Wand der Märtyrer wurde jedoch komplett getilgt. Wohl weil offene Kritik an Militär und Polizei nicht mehr opportun sind. Statt der entstellten Gesichter ziert nun ein rosa-weißes(!) Muster die Mauer, das stark an einen Tarnanstrich erinnert. Doch auch hier waren schon wieder die ersten Künstler am Werk, die weithin sichtbar ihre Unzufriedenheit mit den sozialen und politischen Gegebenheit aus der Sprühdose zaubern.

Graffitis mit politischen Motiven und Reste der Straßenschlachten.Quelle: Felix Hartenstein

Graffitis mit politischen Motiven und Reste der Straßenschlachten.

Die Leiter, um auf die andere Seite zu kommen, und das Fenster in eine bessere Zeit.Quelle: Felix Hartenstein

Die Leiter, um auf die andere Seite zu kommen, und das Fenster in eine bessere Zeit.

Die Polizei als mieser Schlägertrupp.Quelle: Felix Hartenstein

Die Polizei, dargestellt als Schlägertrupp.

Graffiti für die Rechte ägyptsicher Frauen.Quelle: Felix Hartenstein

Graffiti für die Rechte ägyptsicher Frauen.

Gesprühter Protest gegen die PolizeigewaltQuelle: Felix Hartenstein

Gesprühter Protest gegen die Polizeigewalt

Eine Anspielung an das Tränengas, mit dem die Sicherheitskräfte gegen Demonstrationen vorgingen.Quelle: Felix Hartenstein

Eine Anspielung an das Tränengas, mit dem die Sicherheitskräfte gegen Demonstrationen vorgingen.

Getöte Demonstranten als Engel.Quelle: Felix Hartenstein

Getöte Demonstranten als Engel.