Heute wird es ein wenig literarischer. Unser Gastautor, der Blogger Olaf Schroth, hat sich auf die Suche nach interessanten Gedichten mit städtischen Bezug gemacht. Lest selbst:

ANGSTGEBET IN WOHNUNGSNOT

Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht
Uns aus der Wohnung jagen.
Was soll ich ihr denn noch sagen –
Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!?

Ich ringe meine Hände.
Weil ich keinen Ausweg fände,
Wenn’s eines Tags so wirklich wär:
Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, –
Daß das auf der Straße stände.

Sollt ich’s versetzen, verkaufen?
Ist all doch nötigstes Gerät.
Wir würden, einmal, die Not versaufen,
Und dann: wer weiß, was ich tät.
Ich hänge so an dem Bilde,

Das noch von meiner Großmama stammt.
Gott, gieße doch ewas Milde
Über das steinerne Wohnungsamt.
Wie meine Frau die Nacht durchweint,
Das barmt durch all meine Träume.

Gott, laß uns die lieben zwei Räume
Mit der Sonne, die vormittags hinein scheint.

Mag dieses Gedicht von alt eingesessenen Mietern aus Friedrichshain stammen, welche die Mietsteigerungen seit der Wiedervereinigung nicht mehr aufbringen können? Nein, dieses Gedicht ist aus dem Jahr 1923 und aus der Feder des Berliner Kabarettisten Joachim Ringelnatz, der sich in mehreren Gedichten mit seiner Heimatstadt auseinandersetzte. 1933 wurden die Werke jedoch von den Nazis als „entartet“ verboten. Weitere teilweise lustige, nachdenkliche oder ironische, aber noch immer aktuelle Gedichte zu Berlin: