Abb. 1: Tanzcafé – auf der Dachterrasse des Sproutbau (¬© by T. Buchholz)

Im Rahmen des Projektes „Sproutbau – ein Wohnexperiment“ bewohnten während des Sommers 2007 Menschen aus verschiedensten Teilen der Welt für einen Monat ein leerstehendes Hochhaus am Rande der Hansestadt Bremen. Sie konnten in dem zum Abriss bestimmten Wohnhaus ihren „Fantasien zur individuellen Umgestaltung innerer und äußerer Wohnbereiche freien Lauf zu lassen“ – wie es auf der Projektseite heißt. Die Teilnehmenden feierten somit den Abschied von dem Gebäude.

Abb. 2: Ein leerstehendes Haus Рder Sproutbau (© by D. Schnier)

Welche Wohnutopien dabei umgesetzt wurden und wie sich das Projekt in die Umgebung integrierte, fragten wir Daniel Schnier und Oliver Hasemann, die als Mitglieder des Autonomen Architektur Ateliers (AAA) an der Projektleitung beteiligt waren.

Urbanophil: Stellt ihr euch kurz vor?

AAA: Das Autonome Architektur Atelier geht auf eine Initiative von Daniel Schnier zurück, der das Atelier Arbeitssuchender ArchitekturabsolventInnen initiierte. Ziel war es, sich ein eigenes Netzwerk zu schaffen, dass den etablierten Strukturen trotzen kann.

2006 war dann das Geburtsjahr des Autonomen Architektur Ateliers (AAA). Beteiligte waren Daniel Schnier (Dipl. Ing. Architektur FH), Oliver Hasemann (Dipl. Ing. Raumplanung) und Alexander Kutsch (Dipl. Ing. Raumplanung). Aktuell sind wir nur noch zu zweit, da Alexander das Büro verlassen hat. Es fing an mit den urbanen Spaziergängen, die insbesondere Olivers Werk waren. Und mit der Zeit haben wir unterschiedliche Projekte wie die urbanen Spaziergänge, move.it!! (Initiator Medienkünstler BNC) und eben auch Sproutbau (Initiatorin Christina Vogelsang) durchgeführt. Dabei versuchen wir, Stadterlebnisse zu vermitteln und urbane Experimentierfelder zu eröffnen.

Autonomes Architektur Atelier

Abb. 3: Das Team des AAA (v.l.n.r. A. Kutsch, O. Hasemann, D. Schnier) (© by Cathrin Eisenstein)

Wie kam es zu eurer Mitwirkung an dem Projekt Sproutbau?

Die Initiative ging von Christina Vogelsang aus, die uns bei einem unserer urbanen Spaziergänge durch die Bremer Überseestadt im Februar 2007 ansprach und fragte, ob wir nicht Lust hätten, bei dem Projekt mitzumachen. Von ihr kam die Idee, da sie schon einmal ein Hochhaus bespielt hatte. Dieses Projekt – Tenever Paradies – dauerte nur 2 Tage, Sproutbau hingegen über einen Monat. Und dafür suchte sie noch Mitstreiter. So gründete sich das TEAM N.


Wir als AAA haben das Raumnutzungskonzept und die Bauleitung übernommen, aber auch das den VremdenVerkehrsVerein (VVV) geleitet, was bedeutete, dass wir uns um Werkzeug, Ankunft, Schlüsseldienst, Stadtplan, die Urbanen Spaziergänge International und ähnliches kümmerten. Aus dem VVV ging dann auch das Logo des AAA hervor.

Normalerweise ist eine Großsiedlung nicht gerade ein Ort, an dem man solche Aktionen vermutet – eher Altbauten oder Industriegebiete. Welche Rolle spielte also die Architektur für euch? War das Gegenspiel zwischen Kunst und rationaler Architektur interessant?

Gerade für Projekte, in denen mit Installationen gearbeitet wurde, waren die festen, vorgegebenen Strukturen extrem wichtig, da man damit spielen und diese Strukturen auflösen konnte. Diese vorgeschrieben Architektur machte einen wichtigen Teil des Reizes aus, hier mitzumachen. Man konnte eben etwas aufbrechen, was einem eigentlich das Gefühl vermittelt: „Das ist so!“. Genau darin lag die Herausforderung für die Künstler.

Aber auch für uns bestand darin eine Herausforderung. Denn wir mussten die kaputten Infrastrukturen für uns selbst wieder herrichten. Die meisten Leitungen waren leider abgestellt und kaputt. Da Metallräuber am Werk waren, fehlten eine Menge Rohre, so dass wir 2 Wochen Vorarbeit benötigten, um die Wasserleitungen so herzurichten, dass sie nutzbar wurden. Wir konnten das nur lösen, weil uns die GEWOBA (Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen) bei der Herstellung einiger Leitungen unterstützte und weil der letzte Mieter, Herr Dohm, noch eine funktionierende Warmwasserleitung hatte. Diese konnten wir dann anzapfen.

Welches Interesse hatte denn der Besitzer, die GEWOBA, an diesem Projekt? Man hätte ja annehmen können, dass ihr hier auf Widerstände treffen würdet – dass die GEWOBA z.B. die Gefahr sieht, dass das Haus am Ende besetzt wird oder sie bei Unfällen haften muss.

Die große Publicity und die positive Resonanz in den Medien waren die Gründe, warum die GEWOBA mitmachte. Das Thema ging durch die Presse. Und so kamen Leute aus ganz Deutschland vorbei. Mit dabei waren z.B. Stadtplaner aus Lübeck, um sich Tenever und das Projekt anzuschauen. Ebenso ein Schwarzwälder, der einen Film drehte und ein Interview mit Herrn Dohm führte.

Zudem muss man sehen, dass eine Bausicherung teurer geworden wäre als diese einmonatige Bespielung, Wir passten auf die Leute auf, so dass niemand Blödsinn machen konnte. Die GEWOBA hatte schon positive Erfahrungen mit Tenever Paradies gesammelt, wo alles gut verlief. Dadurch war dieses Projekt dann eher möglich. Aber diese 4 Wochen “Halligalli” waren natürlich ein großer Vertrauensbeweis von Seiten der GEWOBA. Nochmals Danke dafür.

Besucher im Sproutbau

Abb. 4: Besucher im Sproutbau (© by D. Schnier)

Und wie gestaltete sich während der 4 Wochen das Miteinander? Es waren ja unterschiedlichste Menschen, die sich vorher nicht gekannt hatten und nun gemeinschaftlich lebten.

In den ersten zwei Wochen stand das gegenseitige Kennenlernen im Vordergrund. Danach, in der dritten und vierten Woche, waren gemeinschaftliche Sitzungen und Besprechungen angesagt. Es wurde geklärt, wie es nach dem Projekt weitergehen wird und was für die Betonale (die Abschlussveranstaltung; A.d.A) zu planen ist. Denn diese Aktionen und Veranstaltungen entstanden (spontan), da war nichts von vornherein geplant. Jeder konnte sich einbringen. Es war also nicht nur Arbeiten und Wohnen, sondern ein gemeinschaftliches Leben über 4 Wochen lang.
Sitzung der Sprouties
Abb. 5 : Eine Sitzung der “Sprouties” (¬© by D. Schnier)

Und immer problemlos?

Ob das noch länger geklappt hätte, ist schwierig abzuschätzen, da es schon gewisse Differenzen unter den Teilnehmenden gab. Wichtig ist hierbei zu betonen, dass das Projekt nur temporär angelegt war. Und für diese begrenzte Zeit funktionierte es aber gut.

Nun eine direkte Frage: Auf unserem urbanoFORUM #2 wurde seitens des Publikums die Kritik geäußert, dass Sproutbau eine egoistische Kunstaktion ist, auf der die Teilnehmer sich selber feiern, aber der Stadtteil und die dortigen Bewohner davon nichts haben. Wie steht ihr zu einer solchen Kritik?

Es war anfangs nicht als ein partizipatorisches, also ein mit der Nachbarschaft verwobenes Projekt, gedacht. Aber es stand den Teilnehmenden natürlich frei, sich mit der Nachbarschaft auseinander zu setzen und mit ihnen zu interagieren. Und daraus haben sich einige solcher Projekte entwickelt.

Beispielsweise sind 2 Künstlerinnen auf die Spurensuche nach den ehemaligen Bewohnern des Hauses gegangen, die teilweise in die direkte Nachbarschaft umgezogen sind. Diese wurden dann nach ihren Erinnerungen und Erinnerungsstücken an die Zeit im Sproutbau befragt und die Gegenstände und Geschichten dann auf der Betonale ausgestellt.
streetart sproutbau
Abb. 6: Kunst am Sproutbau (© by T. Buchholz)

Und gab es weiteren Kontakt zu der Nachbarschaft? Also nicht nur mit Ehemaligen?

Es gab eine Fotoserie, wo wir „Sprouties“ in Wohnungen von Anwohnern fotografiert wurden und diese dann in unseren temporären Wohnungen. Es ist natürlich interessant, deren Wohnungen und die Reaktionen zu sehen. Die Fotos findet man im Netz.

Aber es waren nicht nur Künstleraktionen. Ebenso gab es einen Geschenkladen, der über das temporäre Projekt hinaus weitergeführt wird. Auch kamen einige Nachbarn regelmäßig vorbei, machten Fotos und sprachen mit den Leuten. Es gab also Austausch auf mehreren Ebenen. Man muss aber auch eingestehen, dass sich andere hingegen gar nicht für uns interessierten. Einfach auch weil sie uns gar nicht wahrnahmen.

Mit einigen Jugendlichen machten wir gemeinsam Musik und führten sie durch das Haus. In einem verschimmelten Trakt, der Nr. 50, haben wir mit den Jugendlichen Scheiben eingeschlagen. Auch andere Teilnehmer nutzen hin und wieder diese Möglichkeit, um ihren Emotionen freien Lauf zu lassen.

Habt ihr auch negative Erfahrungen gemacht?

Ja, leider gab es auch Tage, an denen „Stress“ angesagt war. Einmal sind alkoholisierte Jugendliche auf unserem Bergfest gewesen, von denen einer aggressiv wurde. Die mussten wir dann vom Fest verweisen. Und geschockt hat uns, dass die Jungs nachts eingebrochen sind, was kein schönes Erlebnis war. Aber größere Probleme gab es nicht.

Das Projekt Sproutbau hat den Untertitel „ein Wohnexperiment“. Was bedeutet das? Wolltet ihr euer Utopia leben? Oder einfach „nur“ neue Wohnformen ausprobieren?

Ob wir direkt ein Utopia leben wollten, ist schwierig zu sagen. Aber es ist so, dass die Leute, die sich beworben haben und die dort lebten, mehrheitlich jüngere Menschen zwischen 20 und 35 Jahren waren. Sie sind auf der Suche und sie möchten sich ausprobieren. Und genau hierfür haben wir eine Plattform angeboten, um eben dies zu ermöglichen. Hier hatten sie viel Freiraum, in dem sie experimentieren konnten.
Und obwohl sie aus London, Barcelona oder Neuseeland kamen und sich viele nicht kannten, entwickelte sich eine Gemeinschaft. Man half sich gegenseitig und traf sich gemeinsam in der Küche, im Café oder auch im Hängemattenzimmer.

Das hört sich nach einem tollen Miteinander an!

Ja, das war es. Und gerade auch die etwas unerwarteten Erlebnisse machten das Projekt zu was Besonderen. So kam zum Beispiel eine Gruppe von etwa 60 Radfahrern vorbei, die sich das Projekt anschauten. Sie erzählten uns, dass sie früher in den 70ern eine Republik im Wendland ausgerufen haben. Sie zeigten uns Ihre alten Republikausweise und schwelgten von alten Zeiten. Diese Gespräche sind besondere Erfahrungen, die man mit solchem einem Projekt macht.

Noch zum Abschluss: Habt ihr eine Dokumentation geplant? Und wann soll diese erscheinen?

Ja, die umfassende Dokumentation ist in Arbeit und wird voraussichtlich im Herbst 2008 erscheinen.

Vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch führte Stefan Höffken mit Daniel Schnier und Oliver Hasemann.