Durch unsere Führung durch die Ausstellung Megastructure Reloaded haben wir die kuratorische Assistentin des Projekts, Cornelia Escher, kennengelernt, welche nun bei JungeMeister.net – Kunstnetzwerk Berlin e.V. aktiv ist – ein Verein, „der seit fast drei Jahren unterschiedlichen jungen Leuten einen Zugang zur Berliner Kunstlandschaft ermöglicht und dabei insbesondere hinter die Kulissen des Kunstbetriebes schaut“.

Mit ihrem Kollegen Benjamin Steil möchte Sie im kommenden Semester stärker künstlerische und architektonische Perspektiven verschränken. Dazu sind bereits ein paar Ideen in die Wege geleitet, wie etwa stadtviertelbezogene Touren oder Besuche von Projekten, in denen raumpolitisch-gesellschaftliche mit künstlerischen Anliegen verbunden werden. Hieraus ergab sich die Idee einer Kooperation mit uns urbanophilen, über die wir euch zu gegebener Zeit berichten werden. Nun aber wieder zurück zu dem Interview…

(Interview: Stefan Höffken)

Könnt ihr beide euch kurz vorstellen? Was macht ihr hauptberuflich und was sind eure Aufgaben bei den JungeMeister.net?

Benjamin: Ich studiere Architektur und kümmere mich bei JungeMeister.net neben vereinzelten Kunstführungen hauptsächlich um unseren Schwerpunkt Architektur.

Cornelia: Im Moment bin ich meist mit meiner Promotion zur GEAM (Groupe d”études d”architecture mobile) beschäftigt. Für JungeMeister.net habe ich im letzten Semester hauptsächlich ein paar Führungen organisiert

Die Jungen Meister beschäftigten sich ursprünglich mit Museumskunst, also klassischer Kunst, wie Malerei, Bildhauerei, etc. Ihr beide legt nun einen verstärkten Fokus auf Architektur und Stadtentwicklung, was den “klassischen” Kunstbegriff ja erweitert. Könnt ihr kurz erläutern, was euch an Architektur und Stadt interessiert?

Cornelia: Naja, das muss ich relativieren. Bei JungeMeister.net interessiert Kunst nicht als Objekt, sondern vielmehr der gedankliche Prozess, der einem Kunstwerk oder einer Ausstellung vorangegangen ist. Wir wollen im Dialog mit Künstlern und Kuratoren eine auch kritische und differenzierte Position zu Kunst und ihren Entstehungsbedingungen entwickeln.
Auch an der Architektur interessiert mich neben dem Objekt vor allem die Frage: Was besagt sie – und die Erzählungen, die die Architekten um ihre Gebäude produzieren – über die Gesellschaft, in der sie entsteht. Das ist für mich meist so spannend wie das Gebäude selbst. Architekten haben natürlich oft eine andere Perspektive.

Benjamin: Das stimmt. Mein Interesse für Architektur strebt da doch noch eher die Richtung des Entwickelns eines erbauten Ergebnisses an. Wie lässt sich Raum in Einklang mit seiner Umgebung/Natur bringen und welchem Zweck dienen sie? Welche Bedeutungen sind Materialien zuzuordnen. All das sind Fragen die wohl jeder Architekt für sich beantworten muss und deren Suche nach Antworten mich mit jedem Projekt aufs Neue begeistert.
Ergänzend zum Begriff der klassischen Kunst würde ich auch unser Publikum nur ungern der „klassischen“ Kunstszene zuordnen. Wir haben schon immer versucht eine breite Masse „junger Leute“ anzusprechen. Von rechtswissenschaftlich, wirtschaftswissenschaftlichen, bis hin zu naturwissenschaftlichen Schwerpunkten findet man jeden Studenten bei unseren Treffen. Das Thema der Architektur führt diesen Gedanken jetzt nur noch weiter und wird hoffentlich in Zukunft auch bislang Nicht-kunst-intressierten das Thema Kunst als Gesamtbegriff näher bringen.

Nochmal zur Architektur: Welche Bedeutung hat die gebaute Umwelt für euch, wenn man über Kunst redet? Ist Architektur für euch gebaute Kunst?

Cornelia: Nicht, wenn man daraus die Konsequenz zieht, den Stadtraum durch ein monumentales Objekt ästhetisch aufzuwerten – im Sinne des ‚ÄöBilbao-Effekts”, der mehr darauf abzielt, eine oberflächliche und ökonomisch nutzbare Attraktivität zu schaffen. Wenn Architektur und städtischer Raum als Kunstwerk zu verstehen sind, dann als ein partizipatives, das erst durch die aktive Teilhabe und Involvierung der Bewohner seinen Sinn gewinnt.

Dann ist Architektur – und in ihrer Gesamtheit die Stadt – mehr als nur die gebaute Kunst. Ich denke hierbei an die Möglichkeit zur Gestaltung von Lebensräumen, die Schaffung von besonderen Situationen und die Entwicklung von Begegnungsräumen. Beeinflusst damit die Gestaltung der gebauten Umwelt das Miteinander und damit die Kunst? Anders gefragt: Gibt es spezifische architektonische und urbane Situationen, die besondere Kunst zulassen oder sogar erzeugen?

Benjamin: In der Tat gibt es diese. Ein sehr gutes Beispiel war wohl der Palast der Republik und der von raumlabor_berlin errichtete Berg. Leider wurde der Stadt der Raum an dieser Stelle entzogen.

Cornelia: Dein Beispiel zeigt zugleich, dass nicht allein räumliche Komponenten, sondern auch das menschliche Handeln – die Ingebrauchnahme eines brachliegenden Areals – sowie politische Entscheidungen den städtischen Raum und sein spezifisches Potential mit prägen. Die gebaute Umgebung ist zwar viel unmittelbarer als die Kunst mit dem Alltag und dem sozialen Verhalten der Menschen verbunden, dass Bausubstanz und architektonische Form bestimmte Lebens- oder Kunstformen ‚Äöerzeugen” können, möchte ich allerdings bezweifeln.

Trotzdem wird ja immer wieder gesagt, dass die Stadt Berlin mit ihrer besonderen baulichen Situation (wie Freiflächen, Brüchen und verschiedenster Architektur), aber auch die besondere Situation der Nachwendezeit (Umbruch, Unsicherheit, unklare rechtliche Verhältnisse) ihren spezifischen Einfluss auf die Kunstszene hatte. Ist das alles nur eine Frage der Ingebrauchnahme oder doch auch Folge der gebauten Umwelt?

Benjamin: Ein sehr eindrucksvolles architektonisches Beispiel für die Nutzung alter „Nachkriegsarchitektur“ im Zusammenhang mit der Berliner Kunstszene ist die Sammlung Boros. Das Gebäude zeigt wie eng seine Geschichte vom Bunker über ein Obstlager der DDR bis hin zum Kunstraum mit der Stadt verbunden ist. Die Sammlung an sich vermittelt durchgehend den Bezug zwischen Kunst und Raum.

Cornelia: Die Stadtstruktur Berlins mit ihren günstigen Mieten für Atelier- und Galerieräume hat natürlich wesentlich zur – relativ rasanten – Entstehung einer dynamischen Kunstszene beigetragen. Wer hier als Kurator arbeitet, kann sich zudem immer auch als Immobilienscout betätigen. Um Kunst wirkungsvoll zu inszenieren, braucht es die passende Räumlichkeit. Und interessante Gebäude sind in Berlin mit dem richtigen Spürsinn ebenso gut zu finden wie innovative Kunst.

Kann man also sagen, dass sich eine spezielle Kunst in Berlin entwickelt hat, die sich von anderen Städten unterscheidet?

Cornelia: Die Konsequenz aus dem gesagten wäre ja, dass möglicherweise auch die Künstler den architektonischen Raum, für den Sie ihr Kunstwerk entwickeln, stärker in ihre Arbeiten einbeziehen. Dennoch operieren Künstler denke ich viel zu sehr in einem globalen Bezugsrahmen, um sich lokalen Trends anzupassen. Eher könnte man darauf verweisen, dass die geringen Lebenshaltungskosten und die relative Neuheit der Kunstszene auch Neuankömmlingen eine Chance bieten. Die Stadt selektiert also ihre Künstler vorab und gewinnt so ein spezifisches Profil, eher als dass sie die Kunst durch ihre räumlichen Gegebenheiten umformt.

Benjamin: Im Fall der Architektur kann man das in jedem Fall behaupten und da ist die Kunstszene Berlins, in ihrer frei denkenden und vielfältigen Art vielleicht auch nicht ganz unbeteiligt dran. Sie bietet Architekten Inspiration, macht ihnen Lust und gibt ihnen Mut von der Norm abzuweichen und eine neue Architektur zu entwickeln. Mit JungeMeister.net waren wir vor kurzem erst in der Ausstellung ARCHICZECH, die noch im letzten Monat im DAZ zu sehen war. Ganz ohne auf die Namen der Büros zu achten, fiel gleich auf, dass es einige Entwürfe gab, bei denen viel mehr die Idee und nicht das Gebäude an sich im Vordergrund standen.

Somit selektiert die Stadt durch ihre Gegebenheiten, aber formt auch durch sie. Führt dies dazu, dass es etwas Besonderes an der Berliner Kunstszene gibt – also etwas, was ihren besonderen Reiz ausmacht?

Benjamin: Ihre unübersichtlich große Vielfalt!
Cornelia: Dynamik? Aber für mich gibt es auch viel Belangloses. Deshalb ist es wichtig, Kriterien zu entwicklen und an den spannenden Stellen anzusetzten, was wir mit JungeMeisternet versuchen.

Habt ihr die ersten Ideen, wie ihr mit den Jungen Meistern die Bandbreite an interessanten stadtraumbezogenen Themen darstellen möchtet?

Benjamin: Am 17. Juli haben wir beispielsweise eine Führung bei secondhome projects im Wedding geplant, in der wir uns dezidiert dem Thema Kunst und Stadtwandel im Kiez beschäftigen.
Eine weitere Idee ist die Besichtigung der Villa Liebermann, als ein Ort, an dem der Künstler Bezug auf die Architektur seines Gebäudes nahm oder ein Besuch im Hansaviertel. Alle aktuellen und geplanten Führungen findet man aber auch unter www.jungemeister.net!

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg.