Als ich vor knapp anderthalb Jahren zum ersten Mal nach Kairo kam, hing in den Straßen der Innenstadt noch der frische Geruch der Revolution, in der die Menschen Ägyptens den Militärherrscher Hosni Mubarak im Januar 2011 nach 30 Jahren aus dem Amt gejagt hatte. Die Zugangsstraßen des Tahrir-Platzes waren verbarrikadiert und ein selbstorganisierter „Sicherheitsdienst“ aus jungen Revolutionären kontrollierten jeden Besucher, der den Platz betreten wollte, nach Waffen und unerwünschten Gegenständen. Krawallmacher waren ausdrücklich nicht erwünscht.

In der Mitte des riesigen Kreisverkehres erhob sich eine improvisierte Zeltstadt, in der die Aktivisten zum Teil seit Monaten ausharrten, um über „ihre“ Revolution zu wachen. Überall herrschten Zuversicht und eine Stimmung des Aufbruchs. Die Menschen gierten danach, die neu errungene Freiheit zu nutzen und ihr Land aktiv mitzugestalten. Allerorten wurden Pläne geschmiedet, Ideen entwickelt oder die neusten politischen Ereignisse debattiert. Die Leute wollten ein neues, ein besseres Ägypten formen, in dem die Bedürfnisse des Volkes im Mittelpunkt standen, nicht länger der Machthunger der alten Eliten. „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ lautete der Anspruch, unter dem sie gegen das Militärregime auf die Straße gegangen waren, und den gedachten sie nun einzufordern.

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Der “besetzte” Tahrir-Platz im November 2012.

Wie befremdlich war im Gegensatz zu meinem vorherigen Besuch die Stimmung, als ich im Februar dieses Jahres wieder am Tahrir-Platz stand. In der Zwischenzeit hatte das Volk mit Mohamed Mursi bereits den zweiten Machthaber vertrieben und das Militär hatte erneut die Macht übernommen. Die Zeltstadt war geräumt worden, und über die fünfspurigen Straßen des Tahrirs quälten sich laut hupend die Blechlawinen des Hauptstadtverkehrs. Statt Euphorie schlugen mir nun Resignation und Verbitterung entgegen. Die einst hohen Ziele waren nicht erreicht worden. Im Gegenteil: der Zusammenbruch der Wirtschaft infolge ausbleibender Touristen und ausländischer Investitionen hatte die Lage der meisten Ägypter enorm verschlechtert. Statt um den Aufbau einer neuen Gesellschaft ging es für viele ehemalige Aktivisten nun verschärft um den alltäglichen Überlebenskampf im Großstadtdschungel Kairos.

In den Straßen erinnerte nur noch an die Geschehnisse vor einigen Monaten. Die Plakate und Fahnen waren verschwunden, auf der Mittelinsel des Tahrirs war frischer Rasen gesät worden, vereinzelt waren noch Stacheldrahtbarrikaden sichtbar, die man in den Seitenstraßen vergessen hatte. Selbst die mannshohen Wände aus Betonblöcken, mit denen das angrenzende Regierungsviertel abgeschirmt worden war, wurden nun sukzessive wieder geöffnet. Es schien, als werde die Revolution beiseite geräumt, entsorgt im Kuriositätenkabinett der Geschichte. Was blieb waren die Graffiti.

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Tahrir-Platz im Fabruar 2014. Nur wenig erinnert noch an die Revolution.

Obwohl sie mehrfach entfernt, übermalt und verändert worden waren, prangten die Werke zahlloser Sprühdosenkünstler weiterhin als „Wandzeitung der Revolution“ an den Mauern der Straßen um den Tahrir-Platz. Vor allem in der Mohamed Mahmoud Straße, die wiederholt Schauplatz schrecklicher Straßenschlachten zwischen Revolutionären und den Sicherheitskräften war, erkannte ich viele Bilder wieder, ergänzt durch zahlreiche neue Abbildungen, die sich mit den Geschehnissen seit dem Beginn der Revolution auseinandersetzen.

In der kommenden Woche möchte ich euch gerne einige der Fotos zeigen, die ich während meiner Besuche in Kairo von den Revolutionsgraffiti gemacht habe. Zur besseren Übersicht werde ich euch dabei täglich einen der Themenbereich vorstellen, die bei den Kairoer Graffiti eine wichtige Rolle spielen. Unter anderem wird es um Polizeigewalt gehen, um die Märtyrer der Revolution, sowie um Gewalt gegen Frauen und die Frage der Gleichberechtigung.

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Graffiti in der Mohamed Mahmoud Straße.

Wenn ihr euch für das Thema interessiert, habe ich hier noch einige interessante Links für euch. Bei Zeit Online gibt es eine Übersicht von Graffiti aus der Anfangszeit der ägyptischen Revolution. Das Magazin der Süddeutschen Zeitung zeigt Fotos nicht nur von den Graffiti in Ägypten, sondern auch aus anderen Ländern des Arabischen Frühlings. Die schwedische Journalistin Mia Gröndahl hat ein Buch über die ägyptischen Revolutionsgraffiti geschrieben, über das ihr hier mehr lesen könnt. Auf YouTube gibt es auch ein Interview mit der Autorin. Und schließlich findet ihr in unserem Archiv noch einen Artikel mit Fotos über die Mohamed Mahmoud Straße, den ich letzten Dezember für den urbanophilen Adventskalender geschrieben habe.

 

Im Rahmen der “Streetart-Wochen auf urbanophil” veröffentlichen wir aktuell Fundstücke aus unseren privaten Foto-Archiven. Wer selbst mitmachen möchte, postet ein Foto gerne mit persönlichen Worten auf unserer Facebook-Seite oder Twitter. Am besten mit dem Hashtag #StreetartWochen. Zu den weiteren Beiträgen der StreetartWochen auf dem Blog geht es HIER.