Thomas Florschuetz ist einer jener Fotokünstler in Deutschland, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich die Fotokunst da befindet, wo sie schon seit einigen Jahren angekommen ist. Seine expressiven Tableaus fragmentarischer Körperbilder – entstanden schon in den 80er Jahren – sind heute veritable Klassiker. Wie anders sind dagegen die neueren Arbeiten des Berliners, dem jetzt das Museum Wiesbaden eine große Ausstellung mit dem Titel „Assembly“ widmet. Eine neue Offenheit beschwört Direktor Alexander Klar seitdem er in Wiesbaden ist – stärker nun möchte das Haus auch die Fotografie als Kunstform präsentieren.

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Thomas Florschuetz: Ohne Titel (Palast) 33, 2006/08
© Courtesy Galerie m, Bochum

Florschuetz passt da sehr gut. Denn seine neueren Werke, die allesamt Architektur zeigen, fügen sich selbstverständlich ein in die Sammlung des Hauses. Über mehrere große Räume verteilt sich die Schau. Es ist das subtile Wechselspiel der Flächen und Linien, der Blickachsen, Architekturöffnungen und Perspektiven, das gleich für diese Bilder einnimmt. Ihre Leuchtkraft auch. Die Perfektion der Präsentation.

Fotografiert hat Florschuetz die Regierungsbauten von Le Corbusier im indischen Chandigarh, die Bauten Oscar Niemeyers in Brasilia sowie Bauten von Louis Kahn wie das Salk Institute in La Jolla und das Indian Institute of Management in Ahmedebad, doch jede soziologische Betrachtung der Orte ist ihm fremd. Was etwa Ernst Scheidegger in seinem Buch „Chandigarh 1956“ im Sinn hatte, einen tiefen, luziden Blick auf das Leben, die Lebensumstände der Menschen in Chandigarh zu werfen, das ist nicht die Idee von Florschuetz. Er fotografiert die Realität gewordene Plan-Stadt, ein Schachbrett aus 60 Rechtecken, ein graues, heute brüchiges Denkmal der Architektur-Moderne, mit auf paradoxe Art liebevoller Nüchternheit.Und so sieht er auch den Palast der Republik in Berlin während des Abrisses oder das von David Chipperfield restaurierte Neue Museum auf der Museumsinsel kurz vor der Fertigstellung: als Ort von Wandflächen und Strukturen, von Schichtungen und Staffelungen. Arbeiten wie „Enclosure (NM) 25“, entstanden 2009 bis 2010, wollen nichts erzählen. Keine Geschichte steckt hinter den Motiven. Sie sind Zeugnisse einer vorsichtigen, gefühlvollen Abstraktion, auch wenn sie ihren Dienst als Architekturfotografien dennoch tun: Sie dokumentieren die Bauten mit Zuneigung und Sensibilität.

Der 1957 in Zwickau geborene Florschuetz ist sehr bedacht darauf, aus seinen Bildern alles Erzählerische zu verbannen. Nichts erfahren wir darüber, wie die Bauten etwa in Chandigarh heute genutzt werden. Das macht diese Bilder nicht weniger faszinierend – vor allem in der Ausstellung. Denn Florschuetz geht es weniger um das Einzelbild, sondern um eine Gesamtkomposition, ein Zusammenfügen („Assembly“), in der es viele Interaktionen und Verbindungen gibt. Die Schau nimmt gefangen, weil beinahe jedes Bild am richtigen Platz zu hängen scheint. Mehrere kleine Arbeiten von Rückenansichten von Menschen, die „Individuals“, sind schließlich wie eine humorvolle Gegenrede, eine kleine Irritation, die der Ausstellung noch eine weitere, überraschende Wendung gibt.

Bis 8. September. Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2, Dienstag 10 bis 20 Uhr, Mittwoch bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr, Freitag bis Sonntag bis 17 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Verlag Hatje Cantz zum Preis von 35 Euro erschienen.

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Über den Autor des Beitrags:
Marc Peschke, geboren 1970 in Offenbach am Main
1990-1996 Studium der Kunstgeschichte und Ethnologie an der Johannes Gutenberg Universität, Mainz
1996 Magister Artium in Kunstgeschichte zum fotografischen Werk von Hans Bellmer
Seit 1993 Mitarbeit bei verschiedenen deutschen und internationalen Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien mit den Schwerpunkten Fotokunst, Literatur, Popmusik und neue Bildende Kunst. Katalog-Beiträge und eigene Buchveröffentlichungen.
1997 – 2002 Kurator und Mitinhaber der Fotokunst-Galerie “kunstadapter”, Frankfurt am Main
Seit 2008 eigene Ausstellungen

PROFILE IM NETZ:
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