Nachdenken über die Stadt von Morgen – letzte Woche Dienstag wurde im Herzen der New Yorker Lower East Side das BMWGuggenheimLab eröffnet und der Öffentlichkeit als Workplace, Community Center, Bühne, Spielplatz etc. zu Verfügung gestellt. Direkt an der Houston Street, einer der breiten New Yorker Verbindungsstraßen, in einem bunt gemischten Umfeld zwischen Obdachlosenasyl, kleinteiliger Clubkultur und hochpreisigen Hotels ist ein brachliegendes Grundstück in einen Garten mit Café und Pavillon verwandelt worden.

Abb.: Das Grundstück vor der Umgestaltung Photo: Kristopher
McKay © Solomon R. Guggenheim Foundation (8/2011)

Im Kern handelt es sich beim BMWGuggenheimLab um ein mobile Architektur in Leichtbauweise aus Karbonfaser und Stoff, die vom japanischen Atelier Bow-Wow gestaltet wurde. Entstanden ist ein Laboratorium, in dem Stadt neu gedacht und, wie Richard Armstrong, der Direktor des Guggenheim Museums in seiner Ansprache sagte, die „brisanten Themen, mit denen sich globale Städte künftig konfrontiert sehen“ diskutiert werden sollen.

Abb.: Das Lab zur Eröffnung Photo: Karsten Michael Drohsel

In insgesamt drei Zyklen à 2 Jahre reist das Lab über neun Städte um die Welt und versucht das lokale Potential durch Lectures, Veranstaltungen, Workshops, Film-screenings und Konzerte anzuregen. In kostenlosen Veranstaltungen, die nach dem „first come first serve“-Prinzip allen Interessierten offen stehen, werden Fragen nach der Zukunft der Stadt gestellt und durchaus kontrovers Diskutiert.

So gesehen bei einigen der letztwöchigen Veranstaltungen des Labs. Der erste Themenkomplex „Confronting Comfort – exploring notions of individual and collective comfort and the urgent need for environmental and social responsibility“, macht ziemlich schnell deutlich, dass viele Interessen an eine Stadt gerichtet werden, die teilweise nur sehr schwer vereinbar sind. Viele dieser Interessen werden durch unsichtbare Bedingungen diktiert, die schnelle Lösungen unmöglich machen. Innerhalb der Fragestellung werden private Interessen den öffentlichen gegenübergestellt und das Instrument der Planung überdacht. Dabei sollen Aspekte der ökologischen und sozialen Verantwortlichkeit mit einbezogen und verstärkt berücksichtigt werden.

Wenn die Diskussion zum Beispiel über die Frage „How would you improve comfort in the city?“ erst mal entfacht war, wurde diese in Gruppengesprächen, selbst nach Auflösung der Veranstaltungen an einem der Tische des Cafès, auf dem Bürgersteig oder dem Weg zur Metro weiterdiskutiert. Es war schön zu beobachten, dass das Lab als Ort sehr gut funktioniert und angenommen wird, dass die Impulse durch die Menschen, die das Lab verlassen und hinausgehen in die Stadt auch weiter getragen werden.

Diese Tatsache ist vor allem den Kuratoren des Solomon R. Guggenheim Museums und den begleitenden Teams geschuldet, die mit ihren Ideen den Ort mit Leben füllen, die Diskussion durch Impulse anregen und spannende Gäste eingeladen haben, die mit ihrem Wissen und ihren Ideen die Fragestellung verdeutlichen und anschaulich machen.

Besonders hat mir der vom Forschungs- und Designkollektiv Spurse organisierte Ausflug in die New Jersey Meadowlands gefallen. Die Meadowlands am Hackensack River sind um eine ehemalige Müllkippe (in den 1970er Jahren die größte Müllkippe der Welt) entstanden und mittlerweile ein bizarres Natur und Tierschutzgebiet mit einer beachtlichen Artenvielfalt. Hier wird das Thema des Labs – „Confronting Comfort“ – sehr anschaulich: Zum einen gibt es das Erbe einer durch eine undurchsichtige und kriminell motivierte Akteurskonstellation über Jahrzehnte organisierten Müllentsorgung (alle Stoffe vom Hausmüll, bis zu hochtoxischen Industrieabfällen wurden unsortiert und -gefiltert an einem Ort bei New Jersey aufgeschichtet und vergraben, später dem Bewuchs freigegeben. Ähnlich wurde im Übrigen am gleichen Ort mit den sterblichen Überresten von Patienten einer naheliegenden Klinik für schwerst psychisch Kranke vorgegangen. Der „Menschen-Abfall“ wurde ebenso skrupellos entsorgt. Ein Projekt kümmert sich gerade um die Auflistung der Namen von schätzungsweise an die 10.000 Opfer, die momentan unter einem Cricket-Feld des örtlichen Seniorenheims verscharrt liegen). Zum anderen gibt es weiterhin den ungebremsten Hunger der New Yorker nach Konsum, unberührter Natur, und landschaftlich reizvollen Naherholungsräumen. Beides ist schwer zu vermitteln, denn das, was aussieht wie reizvolle Landschaft ist hochgradig belastet und viele der dort lebenden Wassertiere sind schwer krank. Hinweisschilder warnen eindrücklich vor dem Verzehr.

Mit erstmal banal anmutenden Fragestellungen (z.B. What is Comfort without Waste?) werden wöchentlich solche Fieldtrips durchgeführt und anschließend im Lab diskutiert. Die Ergebnisse sollen dokumentiert werden und am Ende eines Zwei-Jahres-Zyklus in der New Yorker Guggenheim ausgewertet und ausgestellt werden.

Abb.: Trügerische Idylle – Der Hügel aus Giftmüll, die Tiere
haben Krebs, Photo: Karsten Michael Drohsel

Das Lab ist neben der Funktion eines Treffpunkts oder Ortes auch ein Ausstellungsraum. Täglich finden mehrere Formate teilweise gleichzeitig statt. Es kann auch das Spiel „Urbanology“ gespielt werden, was ich aber kritisieren würde. Auf einer sehr rudimentären Ebene sollen spielerisch die Abhängigkeiten von fünf Themenbereichen der Diskussion um Stadt visualisiert werden. Die Grundidee des Vereinfachens komplexer Zusammenhänge ist garnicht mal so schlecht, doch lässt sich ein Stadtkörper wie New York eben nicht auf fünf Bereiche (im Netz steht Education, Housing, Health Care, Infrastructure, and Mobility, tatsächlich haben wir das Spiel zu den Kategorien Welth, Mobility, Comfort, Liveability and Affordability gespielt). Dazu kommt, dass im Verlauf des Spiels fast nur Fragen gestellt wurden, die so stark polarisierten, dass es immer nur ein bis zwei Gegenstimmen gab: z.b. “Würden sie einem Investor erlauben ein Stück des schuleigenen Parks zu bebauen, wenn er dafür dort auch ein Theater für Kinder baut” oder „Würden sie den Abriss des Hauses eines berühmten historischen Bürgerrechtlers befürworten, um eine Metrostreckenverlängerung zu realisieren” und dergleichen. Jeder der sich ernsthaft mit Stadt beschäftigt schüttelt hier unverständig den Kopf.

Abb.: Urbanology, das Spiel, Photo: Karsten Michael Drohsel

Was mich darüber hinaus besonders interessiert hat, ist das Zusammenkommen und die Arbeitsweise der nicht ganz alltäglichen Partnerschaft zwischen einem Autohersteller und einem Museum mit angeschlossener Stiftung. Die Kuratorin Maria Nicanor erläutert in einem Interview die Konstellation der Beteiligten: BMW kam vor etwa zwei Jahren auf die Solomon R. Guggenheim Foundation zu, mit der schon einige erfolgreiche Partnerschaften realisiert wurden, um über einen Think Tank zu Fragestellungen und Problemen städtischen Lebens zu diskutieren. Aus diesen Gesprächen entwickelte sich bald die Idee eines größeren und umfassenderen Konzepts, woraus schlussendlich das Lab wuchs. Der gemeinsame Nenner ist der Link zum Design, was Gesellschaft, Architektur und Urban Design mit einschließt, und, nach eigenen Aussagen, eine stärker wahrgenommene Verantwortung als große Stiftung bzw. großes Wirtschaftsunternehmen gegenüber der Gesellschaft und der nahenden Probleme einer global deutlich ansteigenden Verstädterung.

Das Guggenheim Museum möchte vor allem aus dem musealen „White Cube“ in den Öffentlichen Raum expandieren und zum Akteur werden. BMW selbst hat sich beim Lab und den Veranstaltungen sehr zurückgehalten. Sichtbar wurde der Münchener Autobauer eigentlich nur im Namen des Labs, was schon fast wunderlich war Nichtsdestotrotz wurde in mehreren Tischrunden die durchaus diskussionswürdige Position eines Autobauers in einem solchen Projekt diskutiert und der mögliche Grund, warum u.a. BMW an der Stadtentwicklung interessiert ist. BMW selbst geht mit den geförderten und begleiteten Projekten sehr diskret um, versteht sich als Partner, nicht als Sposor und strebt langfristige Kooperationen an. Eine sehr angenehme Herangehensweise, die sich letztlich in der Partnerschaft über sechs Jahre deutlich zeigt.

Abb.: Elisabeth Diller über die Instalation No [No Smoking]
Photo: Karsten Michael Drohsel

Am Freitag, kurz vor Abreise, war ich zur Veranstaltung mit Elisabeth Diller vom Büro Diller, Scoffidio und Renfro, die ihre Sichtweise auf das Thema „Confronting Comfort“ anhand mehrere Arbeiten des Büros vorgestellt hat. Insgesamt ein reich bebilderter Vortrag mit unglaublich viel Humor vorgetragen. Diesen Humor findet man wieder in dem spielerisch-explorativen Umgang mit und einer unaufgeregten Herangehensweise an sehr ernste Themen der Stadt- und Gesellschaftsentwicklung. Wer die Projekte des Büros kennt kann das sicher nachempfinden.

Was mir vor allem hängen geblieben ist sind ein paar Zitate: „Wir bauen Räume, in denen wir uns gerne aufhalten und hoffen, dass diese Räume andere anregen, dass andere sich in ihnen ebenfalls gerne aufhalten. Wir schaffen Angebote.“ Zur Gesellschaft sagt sie: “The fear that someone’s watching has turned into the fear that no one is watching“ oder: „transparency is a new social right”. Unter Comfort versteht Elisabeth Diller vor allem die Befriedigung der Bedürfnisse einzelner, die nicht den Interessen der Gemeinschaft untergeordnet werden, sondern in ihnen aufgehen.

In diesem Sinne habe ich das ganze Projekt BMWGuggenheimLab auch verstanden, als ein Versuch eine Gesellschaft der Vielheiten zu schaffen, in dem die persönlichen Bedürfnisse nicht zurückgestellt werden müssen, sondern in einem übergeordnetem Kontext Platz finden können. Es geht ferner nicht um ein zu erreichendes Ziel, wie z.B. konkrete Aktionen, konkrete Planung, konkrete Themen (wie z.b. Verkehr) sondern eher um eine Art freie Akademie, die Menschen in städtischen Themen bildet und Möglichkeiten zur Intervention zeigt. Als Gruppe oder Individuum, die Botschaft ist: jeder hat Bedürfnisse, jeder hat Potential. Diese Gedanken finden sich vor allem in der Architektur wieder. Sie ist mobil, flexibel, befördernd und soll ein Ort sein, der für Alle zugänglich ist.

Schade, dass ich nicht an weiteren Veranstaltungen teilnehmen kann. Morgen z.B. wäre eine Veranstaltung mit Saskia Sassen. Ca. 100 weitere folgen bis zur Schliessung des New Yorker Labs mitte Oktober. Glücklicherweise kommt das Lab im Anschluss, vermutlich im Frühjahr 2012 nach Berlin. Dort findet es Platz auf dem Gelände des Pfefferbergs und wird von Aedes gehostet und versorgt.

Ich bin schon gespannt, wie das Lab auf die Umgebung eingeht und diese reflektiert. Das Grundstück in New York soll übrigens nach dem Abbau der Nachbarschaft zu Verfügung gestellt werden. Momentan steht noch nicht fest, was diese daraus machen will, immerhin wurden schon die Optionen Community Garden und die Erweiterung des gegenüberliegenden Parks diskutiert.

Wer mehr erfahren will findet hier umfangreiche Informationen:

Webseite Twitter Youtube-Kanal Guggenheim Spurse Hackensack Project