London 2012, Bild: Martin Koddenberg

Die Olympischen Spiele von London sind beendet, alle Medaillen vergeben und der Gastgeber kann sich über viele unerwartete Sporterfolge freuen. London konnte sich als tolerante, multiethnische und multikulturelle Gastgeberstadt präsentieren und den olympischen Gedanken mustergültig übermitteln. Ein befürchtetes Verkehrschaos blieb aus, kein Terror, kein Skandal – Organisation und Infrastruktur erfüllten die an sie gestellten Aufgaben. Doch erst nach den Spielen beginnt die Einlösung der Ziele und Wünsche, die an die Olympischen Spiele als Instrument bzw. Motor einer inzwischen „nachhaltigen“ Stadtentwicklung gestellt werden.

Rückblickend haben sich besonders die Olympischen Sommerspiele parallel zu ihrer wachsenden Vermarktung als Major-Events (mit Sponsoring, TV-Rechten, etc.) zu einer gewaltigen Dimension von urbaner Imageproduktion, Städtebau und Stadtumbau entwickelt. Dabei haben sich viele positive Effekte für die einzelnen Gastgeberstädte gezeigt, allerdings oft auch große Schwierigkeiten hinsichtlich der städtebaulichen Integration und Nachnutzung der Olympia-Infrastrukturen herausgestellt.

Für die Barcelona Spiele von 1992 wurde mit einer Verteilung der Spielstätten ein bestehendes dezentrales Stadtentwicklungsmodell weitergeführt. Damit wurden vernachlässigte Gebiete für die Stadtbevölkerung reaktiviert – etwa das Gebiet um den Berg Montejuic. Die Verkehrsinfrastruktur wurde erneuert und auf langfristige Kapazitäten erhöht – die Altstadt wurde saniert und renoviert. Der Bau des Olympischen Dorfes war das wichtigste und flächenmäßig größte Erneuerungsgebiet, das im Zuge der Spiele realisiert wurde. Damit wendete man Barcelona dem Meer zu und erhielt eine bis heute geschätzte neue Qualität. Barcelona gilt deshalb auch als weitestgehend vorbildliches Beispiel einer „olympisch-städtebaulichen“ Entwicklung, jedoch auch unter dem Opfer einer hohen kommunalen Verschuldung.

Die Olympischen Spiele von Atlanta 1996 wurden vor allem als „Coca Cola Games“ bekannt; weil großteils privat und unter kommerziellen Interessen finanziert. Dabei wurden vornehmlich kurzfristige Ziele angestrebt, die auf ein Wachstum von Wirtschaft und Tourismus gerichtet waren. Alle Sportstätten wurden zentral angelegt, in einem Umkreis von 2,4 Kilometern vom Stadtzentrum, dem „Olympischen Ring“. Das Olympische Dorf entstand auf dem Campus des Georgia Institute of Technology, welches nach den Spielen für Studentenwohnungen umgenutzt wurde. Eine weitere wichtige Einrichtung der Spiele war der 21 ha große Centennial Olympic Park. Nach den Spielen ging der privat finanzierte, aber auf öffentlichem Boden errichtete Park an die Stadt über und wird heute für verschiedene Veranstaltungen genutzt. An vielen Stellen des Olympischen Rings wurden jedoch Wohnanlagen sozial schwacher, meist farbiger Bewohner, durch die Spiele verdrängt, um neuen Raum für lukrative Investitionen zu gewinnen, bzw. das Stadtgebiet sozial zu „bereinigen“. Aufgrund der geringen Beteiligung von öffentlichen Geldern, kam es kaum zu einer Bürgerbeteiligung. Zudem entstand auf politischer Ebene ein Zusammenschluss mit den wirtschaftlichen Interessen, aus dem praktisch ein „öffentliches Interesse“ formuliert wurde. Atlanta blieb damit einerseits eine langfristige Verschuldung der Stadt erspart, andererseits wurde statt einer Revitalisierung von armen Downtown Distrikten die Segregation von benachteiligten Bevölkerungsgruppen sowie die Gentrifikation im Stadtzentrum gefördert.

Die Millenniums-Spiele von Sydney stellten sich erstmals als besonders nachhaltig vor. Das Umweltschutz-Image und den Beinamen „Green Games“ erhielten die Spiele bereits im Bewerbungsstadium. Denn 1992 ging aus einem städtebaulichen Wettbewerb für das Olympische Dorf, ein von Greenpeace initiiertes Projekt als Preisträger hervor. Folge war eine allgemeine Ausrichtung der Planungen für die olympischen Anlagen unter Umweltschutz-Vorzeichen. Die Auswirkungen beschränkten sich schließlich nicht nur auf den Planungsprozess der Spiele, sondern wurden auch zum Initiator für neue staatl. Richtlinien, sowie einen auf Umweltschutz orientierten Regierungsauftrag. So zeigte sich die Wirkung etwa in der Einführung von Recyclingmaßnahmen oder strengeren Abgasnormen. Ebenso wie in Atlanta, verfolgt Sydney eine allgemein zentrale Anordnung der Olympischen Stätten, jedoch nicht im Zentrum, wie in Atlanta, sondern etwa 14 km vom Zentrum und 20 km von der Küste entfernt in Sydneys benachteiligtem Westen, Homebush Bay. Das Kerngebiet der Olympischen Spiele 2000 bildet eine ca. 760 ha große Industriebrache zwischen Fluss, Autobahn, Staatsgefängnis, Raffinerien und armen Vororten. Das Gelände wurde in den 60er und 70er Jahren von der chemischen Industrie und der Nutzung als Deponie stark kontaminiert, besonders die Rückstände der früheren Munitionsfabrik belasteten das Gebiet schwer. Die städtebauliche Struktur folgte den durch Greenpeace beeinflussten und unter wirtschaftlichen Aspekten überarbeiteten Masterplan, der an die „New Urbanism“ Bewegung anschließt und innerhalb Australiens neue Maßstäbe der Umweltverträglichkeit setzen sollte. Verkehrstechnisch wichtigstes Element der Olympischen Spiele 2000 bildete die neue Stadtbahnverbindung, die für einen geregelten „autofreien“ Transport zu den Spielen sorgte und jetzt die neuen Wohngebiete (ehem. Olympisches Dorf) mit dem Stadtkern verbindet. Die neu geschaffene Sportinfrastruktur wird einerseits durch gewachsenes Sportinteresse genutzt, andererseits bestehen teilweise Überkapazitäten, die auch durch die Zentralität des Olympischen Sportkomplexes hervorgerufen wurden. Besonders die neuen und auch unter sozialem Aspekt zu wertenden Umweltschutzbestrebungen müssen als großer Fortschritt für die Verbindung Olympischer Spiele und städtischem Strukturwandel betrachtet werden.

Die Hauptziele der Olympischen Spiele von Athen 2004 waren eine Qualitätssteigerung und Imageverbesserung der Stadt, besonders hinsichtlich Verkehrschaos, Umweltverschmutzung und wirtschaftlicher Instabilität. Folge der Zielvorgaben war dann auch der hohe Einsatz von öffentlichen Geldern und eine dementsprechende kommunale Verschuldung. Mit dem Ziel, einzelne Stadtteile Athens zu entwickeln, wurden die Sportanlagen dezentral auf die Stadt verteilt – wobei 4 Hauptzonen entstanden: Das Hauptzentrum befindet sich im nordöstlichen Stadtteil Maroussi mit Olympia Stadion, Schwimmstadion und Pressecenter – hier wurden zu 70% bestehende Sportanlagen erneuert, die schon für eine vorherige Olympiabewerbung errichtet wurden. Im Küstengebiet Faliron entstand der zweitwichtigste Bereich für die Olympischen Spiele. U.a. die Beachvolleyballarena und eine große Parklandschaft entstanden nach bestehenden Masterplänen um Athen Richtung Meer zu orientieren und neue Freizeit- und Erholungsgebiete zu schaffen. Der alte Flughafen (Hellenikon) wurde erst relativ spät in die Planung aufgenommen – alte Flughafengebäude wurden dazu neu adaptiert, Anlagen wie ein Baseball-Stadion und ein Wildwasserkajak-Parcours auf dem ehemaligen Rollfeld neu erstellt. Für das Olympische Dorf wurde ein Stadtrandgebiet neu erschlossen. War bei den Spielen von Sydney der Umweltschutz tragender Gedanke der Planungen für die olympischen Anlagen sowie dem Olympischen Dorf, so hat man sich in Athen von einer vorbildlichen umweltschutzgerechten Planung entfernt, etwa die Nutzung von Sonnenenergie für das Olympischen Dorf vernachlässigt. Die dezentrale Anordnung der olympischen Sportstätten verstärkte die Notwendigkeit die Verkehrsinfrastruktur auszubauen; ein neuer Flughafen, eine moderne Ringautobahn, S- und Straßenbahn entstanden. Heute ist die neue Verkehrsinfrastruktur für Athen die verbliebene positive Errungenschaft. Die hohen Ausgaben für die Spiele haben die Schuldenlast Griechenlands dramatisch erhöht und werden als ein Grund das Schuldendebakel angeführt (siehe: Die Zeit vom 29.07.2012). Die Sportanlagen werden kaum genutzt, da auch entsprechendes Publikum fehlt oder viele Sportarten in Griechenland unpopulär sind. Viele ohnehin architektonisch wenig gelungenen Sportstätten verfallen inzwischen – inkl. der drei Werke von Santiago Calatrava, die noch eilig für die Spiele errichtet wurden. Die geplanten öffentlichen Freizeit- und Parkanlagen wurden wegen Geldmangel nicht umgesetzt oder können nicht erhalten werden. Für eine geplante wirtschaftliche Nachnutzung des Hellenikon-Flughafenareals fanden sich nicht die erhofften Investoren.

Die Olympischen Spiele 2008 von Beijing waren vor allem eine Demonstration von Superlativen, diktatorischer Macht und ökonomischer Stärke. Mit einer Investitionssumme von ca. 44 Milliarden Dollar in Sportstätten und Infrastruktur waren sie auch die bislang teuersten Spiele. Ein Großteil der Investitionen ging in den Ausbau der Verkehrinfrastruktur zur Behebung von Verkehrschaos und der schlechten öffentlichen Transportsysteme, schließlich auch um die Erreichbarkeit der Sportstätten im Stadtgebiet zu gewährleisten. Der Anspruch nach „Grünen Spielen“ zeigte sich in der Umsetzung vieler Umweltschutzprojekte, etwa dem Bau von Kläranlagen, der Einführung von Mülltrennsystemen, Maßnahmen gegen die starke Luftverschmutzung oder die Nutzung von regenerativen Energien. Dagegen wurde der Bau der olympischen Sportstätten von zahlreichen Zwangs-Umsiedlungen und Einschränkungen der Bevölkerung begleitet, was große internationale Kritik erregte. Das Olympia Gelände wurde mit ca. 700 Hektar als weltweit größte innerstädtische Parkanlage „Olympic Green“ geplant und für den Freizeit- und Erholungsbedarf der Stadtbevölkerung konzipiert. Bekannt wurden durch mediale Berichterstattung hauptsächlich das Olympia Stadion (von Herzog & de Meuron) und die olympische Schwimmhalle (von PTW). Heute wirkt das Olympia Gelände verlassen: Das „Olympic Green“ wird zwar von mehreren Tausend Gästen täglich besucht, die verlieren sich aber in der riesigen Parklandschaft – Bonjour Tristesse. Fataler ist allerdings die Auslastung der Olympischen Sportanlagen: Sportveranstaltungen finden hier kaum noch statt, denn viele Sportarten sind in China relativ unpopulär, der Breitensport ist bisher wenig ausgeprägt und für alternative Veranstaltungen (etwa Messen, Popkonzerte, etc.) gibt es ein Überangebot an Orten, die sich gegenseitig Konkurrenz machen. In Beijing wird damit klar: hier wurden die Spielstätten „nur“ für die Olympischen Spiele geplant und kaum für eine nachhaltige, fortwährende Nutzung (siehe: FAZ vom 31.07.2010).

Olympischer Park 2012, Bild: Martin Koddenberg

Zurück nach London:

Der Olympische Park von London liegt im Osten der Stadt, angrenzend an die Stadtteile Tower, Hamlets, Hackney, Walthon Forest und Leyton – insgesamt sozial schwache und bisher benachteiligte Viertel der britischen Hauptstadt. Ziel ist deshalb mit den Olympischen Spielen die Gegend nachhaltig aufzuwerten, mit dem Olympia Park ein neues Zentrum für die Stadtteile zu gestalten und die Verkehrsanbindungen zu verbessern. Entsprechend wurde ein Hauptteil (80 %) des Budgets von 9,1 Milliarden £ für Infrastrukturprojekte eingesetzt und eine Rückstellung von 1 Milliarde £ für den Umbau nach den Spielen gebildet. Ergänzend wurde am Olympischen Park Europas größtes innerstädtisches Shoppingcenter bereits 2011 eröffnet (Westfield Shopping Center), 2013 soll die University of East London einen neuen Campus eröffnen. 2 Masterpläne definieren das Olympische Gelände und sind gleichsam eine Weiterführung des Konzeptes Urban Renaissance, welches seit den 1990iger Jahren das Leitbild der Londoner Stadtrestrukturierung ist. Masterplan 1 legte die Baumaßnahmen für die Spiele, aber auch die Infrastrukturen für die Zeit danach fest. Der 2. Masterplan gibt die Vorgaben für das endgültige Aussehen des Olympischen Parks. Er hat die Aufgabe das Gebiet von den Dimensionen der Großveranstaltungsnutzung hin zu einer „normalen“ und „London affinen“ Nutzbarkeit zu verwandeln – für öffentliche Nutzungen und Investoreninteressen. Grundsätzlich galt bei der Planung, dass sich die „Olympischen Strukturen“ hinsichtlich der späteren Nutzung des Geländes anpassen sollten – und nicht umgekehrt – weshalb ein Großteil der Anlagen auf einen Rückbau hin angelegt und konstruiert wurde. So wird etwa das Aquatic Centre von 17.000 auf 2.000 Sitzplätze zurückgebaut. Das Olympia Stadion kann von 80.000 auf 25.000 Plätze reduziert werden und soll evtl. vom Fußballclub West Ham United übernommen werden. Die Basketball-Arena ist insgesamt zerlegbar und kann wiederverwendet werden – ein Nachnutzer steht jedoch noch nicht fest. Auf den Groß-Event ausgerichtete breite Wege und Plätze werden reduziert, Fluchtzonen überbaut und Parkanlagen umgestaltet sowie erweitert. Erstmals setzte man bei der Planung neue und umfassende Projektsteuerungsmethoden ein, die sich sowohl auf den Bauablauf und die Kostenkontrolle beziehen, aber auch eine effiziente Bürgerbeteiligung und Transparenzvorgaben einbezogen (siehe: vhw FWS 01/2012). Mit den Bürgerbeteiligungsverfahren war es zudem möglich Nachnutzungsszenarien zu entwerfen – etwa für die Handball-Arena, die als Multifunktions-Arena weitergenutzt wird und u.a. große pakistanische oder indische Hochzeitsfeiern ermöglicht. Die Bürgerbeteiligungsverfahren dienten dabei auch der allgemeinen Akzeptanzbildung wie Projektlegitimation. Sie sind aber ebenso hilfreich für eine spätere Integration des Olympia Parks an die anschließenden Stadteile. Dennoch darf nicht unbeachtet bleiben, dass es im Zuge der Aufwertung auch zu Verdrängungs- bzw. Gentrifizierungsprozessen kommt, die auch schon im Vorfeld der Spiele sichtbar wurden (siehe: Die Zeit vom 23.04.2012). Ob die mittelstandsorientierten Planungen der lokalen Bevölkerung dienen ist fraglich, die Mieten stiegen bereits überproportional. Nachhaltigkeit war für die Olympischen Spiele von London ebenfalls ein bedeutungsvoller Anspruch, der bereits bei den vorherigen Spielen meist effektvoll angekündigt wurde, aber oft unzureichend umgesetzt wurde. Doch auch in London konnten die Nachhaltigkeitsziele nur zum teil erfüllt werden: Einige Gebäude weisen gerade durch ihre Wiederverwertbarkeit eine günstige Co2-Bilanz auf (Basketballstadion), die Schwimmhalle hingegen bekommt vom WWF eine katastrophale Klimabilanz ausgestellt. Der Publikumsverkehr wurde meist durch öffentliche Verkehrsmittel abgewickelt, außerdem wurden neue Fahrrad- und Fußwege angelegt. Der WWF kritisiert, dass versäumt wurde, erneuerbare Energien einzusetzen, auch die Abfallverwertung sei nur schwach organisiert (siehe WWF). Insgesamt wird das Thema Nachhaltigkeit auch bei den Olympischen Spielen in London noch immer zumeist aus technologischer Sicht verfolgt. Aspekte sozialer Nachhaltigkeit erscheinen eher sekundär, was sich auch auf die nachhaltige Stadtentwicklung bezieht.

Für eine umfassende Nachhaltigkeitsbilanz ist es aber noch zu früh. In den nächsten Monaten wird in London der 2. Masterplan umgesetzt, mit den festgelegten Rückbau- und Umbaumaßnahmen im Olympischen Park. Dann wird sich zeigen, inwieweit es London gelingt, die olympischen Strukturen zu integrieren und in eine nachhaltige Stadtentwicklung zu überführen.

Viel Erfolg, London.