Der Stuttgarter Bauzaun ist längst zum Symbol geworden. Ein Manifest gegen die Machenschaften bürgerverdrossener Politik und politikverdrossener Bürger. Schon die erste Ausgabe provozierte die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger zu kreativem Protest und ließen über den Zeitraum von nur knapp 3 Monaten eine 80 Meter lange Wand des Widerstands entstehen. Viele Zeichnungen, Bemerkungen, Karrikaturen, aber auch Kunstwerke Stuttgarter Künstlerinnen und Künstler wurden angebracht und spiegelten so den Unmut, der mit dem Projekt Stuttgart 21 verbunden ist.

Im Dezember 2010 wurde der erste Bauzaun vom Haus der Geschichte Baden Württemberg abgebaut und die Objekte gesichert, was, wen wundert es, regen Protest hervorrief. Ein knappes Jahr haben Konservatorinnen und Konservatoren die Artefakte aufbereitet, katalogisiert und decodiert. Das Ergebnis der Arbeit kann nun, noch bis zum 1. April 2012 im Haus der Geschichte besichtigt werden. Tief drunten im Keller (da, wo später vermutlich mal die Züge langdonnern werden) bemüht man sich um eine möglichst authentische Bahnhofssituation, was durch die Tonaufnahmen, die den Raum beschallen und die Sitzmöbel, an denen über Monitore die Artefakte in Gruppen und mit Erläuterungen besichtigt werden können, gut gelingt. Interessant und sehr unterhaltsam sind die Kommentare, zu den bisweilen sehr geistreichen Exponaten.

Wer die Ausstellung nicht besuchen kann, dem seien zwei Bücher empfohlen, die Bilder des Protests und Exponate des Bauzauns zeigen:

Das Buch “Der Stuttgarter Bauzaun – Phantasie des Protests” von Sybille und Ulrich Weitz ist von zwei wirklichen Kennern des Bauzauns herausgegeben. Das Ehepaar Weitz, beides Kunsthistoriker, begeisterten sich schnell für den Zaun und waren, so ich mich erinnere, die ersten, die in diesem Zusammenhang von einem “Kunstwerk” sprachen. Diese Begeisterung trugen sie zügig in die Breite und veranstalteten Bauzaunbegehungen mit vielen Erklärungen zu den einzelnen Arbeiten und zum Gesamtkontext. Aus dieser Begeisterung entstand später im Jahr der o.g. Bildband, in dem die hervorstechendsten Arbeiten gewürdigt wurden. Mit dem Buch liegt ein interessantes Dokument jüngster Zeitgeschichte vor, da viele abgebildete Exponate nicht mehr oder zumindest nicht mehr vor Ort existieren. Gespickt mit zahlreichen Kommentaren und Anmerkungen wurde das schwierige und hochemotionale Thema Stuttgart 21 anschaulich und im positivsten Sinne vergnüglich dargestellt, was dem Bauzaun als Gesamtkunstwerk und den einzelnen Exponaten entspricht. Fazit: sehr empfehlenswert!

Oben bleiben von Albrecht Götz von Allenhusen schlägt einen anderen Weg ein, obwohl es um die gleiche Sache geht: den Bauzaun als soziale Skulptur zu würdigen und einzelne Beiträge hervorzuheben. In diesem Band sind die Exponate thematisch sortiert und mit Kategorien versehen, was ich nicht immer intelligent gelöst finde. Der Autor beharrt auch da noch auf die gefundene Einteilung, wo der Titel oder die Kategorie in Konkurrenz mit der Abbildung tritt (ähnliche Schwierigkeiten sehe ich übrigens auch in der medialen Aufbereitung im Haus der Geschichte). Dennoch ist auch dieses Buch beachtenswert, zumindest durchblätterungswert, da es formal einen anderen Ton anschlägt: hier steht das Spontane, die temporäre Äußerung im Vordergrund, nicht so sehr die Ästhetik, wie im voranbeschriebenen Band. Einige namhafte Zeitgenossen, die sich auch im Protest schon durch Texte und Lesungen hervorgetan haben, steuerten Texte bei, die die Bildhaftigkeit angenehm unterbrechen, selbst wenn die Texte nicht immer sehr geistreich sind und der Zusammenhang manches mal konstruiert erscheint. Fazit: durchblätterungswert.

Die Webseite der Ausstellung findet ihr hier, ein Video hier und einen Artikel hier. Den Bauzaun digital mit Materialien und Tags gibt es ebenfalls auf unter http://www.bauzaun21.de.

Was denkt ihr, sollte man ein solches Relikt ins Museum bringen, ist ein mit Protestbotschaften ausgestatteter Bauzaun ein Museumsstück? Diskutiert mit über die Kommentarfunktion.