Stuttgart 21 – Teil 2: Vor und Zurück – Ringen um das Projekt seit 1995

Der Verlauf von Planungen in der Größenordnung von Stuttgart 21 benötigen einen sehr langen Vorlauf innerhalb dessen sich häufig die Akteurskonstellationen und die politische Meinung ändern. Daraus können sich Schwierigkeiten ergeben, auf Grund derer diese Projekte bisweilen zur Disposition stehen. Auch Stuttgart 21 ist keine reine Erfolgsgeschichte, wie es häufig dargestellt wird. Im Planungsvorlauf gab es mehrere Schwierigkeiten und Stockungen, die u.a. mit veränderten Interessenlagen, neuer Erkenntnisse über Planung und Verlauf und Personalwechseln in Verbindung stehen; so sind auf Bahnseite bis heute vier Vorstandsvorsitzende mit Stuttgart 21 betraut gewesen: Heinz Dürr, Johannes Ludewig, Hartmut Mehdorn und bis heute Rüdiger Grube; beim Bund waren es sieben Verkehrs- bzw. Verkehrs- und Bauminister (so die Bezeichnung seit 1999):  Matthias Wissmann, Franz Müntefering, Reinhard Klimmt, Kurt Bodewig, Manfred Stolpe, Wolfgang Tiefensee und bis heute Peter Ramsauer; auf Baden-Württemberger Landesebene gab es drei Wechsel: Erwin Teufel, Günther Oettinger und bis heute regiert Stefan Mappus. Alleine die, teilweise auch politischen Parteienwechsel, dieser drei Ebenen demonstrieren die Komplexität des Vorhabens.

1993 wurden von Heinz Dürr gemeinsam mit dem damaligen Verkehrsminister Matthias Wissmann, dem Ministerpräsidenten Erwin Teufel und dem  Oberbürgermeister Stuttgarts, Manfred Rommel, erste Ideen über die Umgestaltung der Stuttgarter Innenstadt und hier besonders dem Gelände hinter dem Hauptbahnhof samt den Gleisanlagen formuliert. Historisch überliefert soll ein Hubschrauberflug über die Stadt sein, bei der offensichtlich Einigkeit darüber bestand, dass dort der beste Ort für eine städtebauliche Entwicklung sei. Diese Ideen fanden durch die Parteienlandschaft großen Anklang und wurden sowohl auf kommunaler, Landes- und Bundesebene sehr begrüßt. Um diese Idee weiter auszuformulieren wurde 1994 das Raumordnungsverfahren eingeleitet und durch das Stadtplanungsamt Stuttgart eine städtebauliche Rahmenkonzeption erarbeitet, die hauptsächlich die möglichen bebaubaren Flächen, die Erschließung, klimarelevante Bereiche und die Siedlungsränder thematisierte. Parallel gab die Deutsche Bahn eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, die im Kern die Tieferlegung des Hauptbahnhofs mit den unterirdischen Zuwegungen, der S-Bahn-Station Mittnachtstraße und den neuen Fernbahnhof am Flughafen Stuttgart-Echterdingen mitsamt den notwendigen Anschlüssen an das Hochgeschwindigkeitsnetz, untersuchte. Im Ergebnis zeigte die Studie eine Realisierbarkeit unter einigen Annahmen, die bis dato nur vage oder nicht geklärt waren. Die berechneten Gesamtkosten beliefen sich auf damals 4,8 Milliarden D-Mark, die durch Grundstücksverkäufe in bester City-Lage, hochgerechneter Mehreinnahmen aufgrund erhöhter Fahrgastzahlen durch schnellere Betriebsabwicklungen und weitere Gegenfinanzierungen des Bundes und des Landes geleistet werden sollten. Auch die Sicherheit beim Antasten der Mineralquellen durch die Ausschachtung konnte noch nicht eindeutig fixiert werden, weswegen Zusatzgutachten und geologische Untersuchungen angestellt wurden.

Schlussendlich kam Ende 1995 als Ergebnis des Gutachtens der Drees und Sommer AG heraus, “Stuttgart 21 ist technisch machbar und bringt Vorteile für Städtebau und Verkehr”. Als Nutzen-Kosten-Faktor wurde 2,6 ermittelt, was von vielen als illusorisch angesehen wurde, da mit zu vielen Annahmen gerechnet worden ist, die zu diesem Zeitpunkt nicht überschaubar oder gar steuerbar gewesen wären. Hierzu gehören ein signifikant erhöhtes Fahrgastaufkommen, ein reibungsloser Planungs- und Bauablauf, eine Projektlaufzeit bis 2007, was später auf 2010 korrigiert wurde (heute geht man von einer Laufzeit bis 2020 aus) und hohen Einnahmen durch Grundstücks und Immobilienverkäufe, die bis dato planungsrechtlich noch nicht gesichert waren, jedoch schon in die Finanzierungsberechnung eingingen.

Zur weiteren Untersuchung der noch unklaren Aussagen der Machbarkeitsstudie wurde ein Vorprojekt zu Stuttgart 21 eingeleitet, das am 7. November 1995 mit der Bekanntgabe des positiven Ergebnisses abgeschlossen wurde und noch am gleichen Tag in der Rahmenvereinbarung über die zeitgleiche Realisierung von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm zwischen dem Land Baden-Württemberg, der Stadt Stuttgart, der Region auf der einen Seite und dem Bund mit der Deutschen Bahn auf der anderen Seite mündete. Diese Rahmenvereinbarung fixierte u.a. die Koppelung der städtebaulichen Planung und die Finanzierung durch die besagten Grundstücksverkäufe, die über einen bestimmten Grad der baulichen Nutzung in der schlussendlichen Ausführung zur Finanzierung des Projekts beitragen sollen.

Der Nutzen der Stadt aus dem Projekt wird hier erstmals heftig kritisiert, da sie zwar zum einen die Möglichkeit einer großflächigen Entwicklung erhält, sich aber zum anderen an wirtschaftliche Vorgaben der künftigen Investoren bindet, die Anforderungen an die Art und das Maß der baulichen Nutzung stellen. Würden die Vorgaben nicht erfüllt, wird das Gebiet für Investoren unattraktiv und die Finanzierung würde in Frage gestellt sein. Zudem kommt, dass der Rahmenplan einen zeitlichen Verlauf vorsieht, in dem die Stadt Stuttgart verpflichtet ist bis spätestens 30. Juni 1997 die planungsrechtlichen Grundlagen für die Bautätigkeit der Deutschen Bahn zu schaffen, was den notwendigen und versprochenen Diskurs mit der Bevölkerung über die konkrete Ausgestaltung der freiwerdenden Flächen in Länge und Intensität heftig einschränkt.

Die Fortsetzung des Projektverlaufs und die Gründe, warum Stuttgart 21 schon frühzeitig beinahe abgesagt worden wäre lesen sie im folgenden Teil 3 der Serie “Das neue Herz Europas kurz vor dem Infarkt?”