Im Frühjahr 2002 stellte sich eine Konferenz am Massachusetts Institute of Technology in den USA dem Thema Katastrophe und Stadt (“Resilient City. How modern cities recover from disaster“). Sie sollte sowohl wissenschaftlich als auch therapeutisch den Terroranschlägen in New York gegenüber verstanden werden. Welche wirtschaftliche, kulturelle und politische Kräfte ermöglichen eine neue Ordnung selbst nach verheerenden Katastrophen und welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich im post-traumatischen Urbanismus finden, waren zwei Kernfragen zu untersuchten Städtebeispielen von natürlichen wie menschengemachten Katastrophen. (Die einzelnen Fachvorlesungen können immer noch als Videostream angeschaut werden)

Erscheint dies zuerst wie ein Nischenthema, erstaunt, dass lediglich 32 Siedlungen von 1100 bis 1800 aufgrund von Katastrophen aufgegeben wurden und in den meisten Fällen ihre Größe und Bedeutung zurückerlangten. In den letzten beiden Jahrhunderten hat sich die Häufigkeit der Aufgabe sogar noch verringert. Ein gemeinsames Muster der nachfolgenden Rekonstruktion läßt sich allerdings nur sehr vage formulieren als Spiegelbild der gegebenen Machtverhältnisse in der Stadt. Dies äußert sich weniger in dem Sieger konkurrierender Stadterneuerungsentwürfe als in der Mythenbildung nach der physischen Reparatur. Der Mythos um die Ursachen und der Bekämpfung der Katastrophe dient der Festigung von eben diesen Machtstrukturen. Die Überlegung wird durch die Untersuchung mehrerer Feuerkatastrophen in den USA unterstützt. (pdf)

Als ein Beispiel wird die Feuerkatastrophe von Chicago 1871 herangeführt, welche den Weg ins nationale Gedächtnis des Landes gefunden hat. Schätzungsweise 200 bis 300 Menschen starben und 90.000 verloren ihr zu hause. Am selben Tag brennt auch die Stadt Peshtigo in Wisconsin, bei welcher bis zu 1500 Menschen ihr Leben ließen. Die Tatsache, dass dies heute fast vergessen ist, wird dem Vermögen der Chicagoer Elite zugeschrieben, ihre Katastrophe in den Kontext des Urbildes des modernen Kampfes gegen das Elend zu stellen. Verwendete Methaphern wie “hilflos verletzte Schönheit” oder “unschuldig, junges Mädchen” für die Stadt sind Beispiele hierfür. Der Ursprung des Brandes in der Scheune einer irischen Einwanderin festigte zudem die elitären Vorurteile gegen die als gefährlich angesehene Arbeiterschicht, Frauen und Iren.


Erwähnenswert scheint auch ein zweites Beispiel auch wenn es nicht thematisch dazugehört. Am 8.Mai 1902 wurde die Küstenstadt Saint-Pierre auf der karibischen Insel Martinique Opfer eines Ausbruches des nahe gelegenen Vulkans Pelée. Die gesamte Bevölkerung von 25 bis 35.000 Einwohnern starb bis auf den einzigen Insassen des lokalen Gefängnisses (obwohl andere Quellen von 2 oder 3 sprechen). Dieser konnte erst 4 Tage später in seiner Zelle gerettet werden und schloß sich als einziger offizieller Überlebender einem Zirkus an. Saint-Pierre wurde wieder aufgebaut, aber erlangte seine ehemalige Bedeutung nicht mehr wieder.

Eine vage Theorie, die sich lohnt, auf die Rekonstruktion deutscher Städte nach dem zweiten Weltkrieg zu übertragen.