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Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin; Quelle: www.findingberlin.com

Als im Jahr 1973 der junge Regisseur George Lucas das Drehbuch zu Star Wars zu schreiben begann, der erfolgreichsten Science-Fiction-Produktion der Kinogeschichte, da lagen in Berlin bereits die fertigen Pläne für ein Gebäude vor, dessen martialische Außenform frappierend an die “Imperial Star Destroyer” erinnert. Das Dampfer-Motiv der Architektur der klassischen Moderne wurde in diesem Bauwerk in Richtung eines futuristischen Kriegsschiffes uminterpretiert: Die schrägen, mit Betonplatten gepanzerten Wände scheinen dafür konzipiert zu sein, Geschosse abzulenken. Bei den schmalen Sichtschlitzen mit ihren Augenliedern aus Beton könnte es sich auch um Bunkeröffnungen handeln. Und nicht zuletzt die aus der Fassade abstehenden Rohre verleihen dem Gebäude das Aussehen einer waffenstarrenden Kriegsmaschine. Doch der Berliner Sternzerstörer ist keineswegs ein Vorposten des kalten Krieges, sondern ein mit den besten Absichten errichtetes Forschungsgebäude, das in landschaftlich geradezu idyllischer Lage im Westberliner Bezirk Lichterfelde abgestellt wurde. Es beherbergt die zentralen Tierlaboratorien der Freien Universität Berlin und ist Teil einer Campuserweiterung, die auch ein Krankenhaus und das direkt gegenüberliegende Institut für Hygiene und medizinische Mikrobiologie umfasste. Der Architekt des Tierversuchslabors, Gerd Hänska, dürfte beim spektakulärsten Gebäude seiner Karriere weit weniger von Science-Fiction-Vorlagen beeinflusst gewesen sein, als man auf den ersten Blick vermuten möchte. Er hat lediglich dem funktionalistischen Denken die Krone aufgesetzt, denn für alle Merkwürdigkeiten gibt es höchst rationale Erklärungen. Bloß erzeugt die Summe vieler Einzelentscheidungen eine Gesamtfigur, die den Betrachter erschaudern läßt.

Denn natürlich sollten die blauen Kanonenrohre nicht an Geschütze erinnern, sondern dienen ganz schlicht der Frischluftzufuhr. Nur um zu verhindern, dass die an der Betonoberfläche meist wärmere Luft von der Klimaanlage eingesogen wird, sind die Rohre so weit herausgestreckt. Andere Gebäude können das auch anders lösen, mag man einwenden. Aber der hohe Bedarf an Frischluft für die zahlreichen Labors führte zu der Entscheidung, die Luft dezentral einzusaugen und somit das ohnehin mit Technik vollgestopfte Gebäude von zusätzlichen Leitungen zu entlasten. Auch für die scharfkantigen dreieckigen Fensterausstülpungen unter den Luftrohren gibt es eine scheinbar vernünftige Erklärung: Um direkte Sonneneinstrahlung in die dahinter liegenden Laborräume zu verhindern, wurden die Fenster nach Norden ausgerichtet.

Auch die irritierende Massivität des Baukörpers folgt den sehr speziellen Anforderungen. Nur jedes zweite Geschoss ist für das normale Personal betretbar. Dazwischen liegen, erkennbar markiert durch die Luftrohre, umfangreiche Technikräume. Doch auch in den Arbeitsbereichen wird die Architektur von Sicherheitsmaßnahmen beherrscht. Umwelteinflüsse und Klimaschwankungen könnten die Experimente stören. Da in diesen Labors mit gentechnisch manipulierten Tieren experimentiert wird, sind die Versuchsobjekte sorgsam abgeschirmt. Die Pyramidenform des elfgeschossigen Forschungsgebäudes folgt ebenfalls der Logik reibungsloser Betriebsabläufe. Im Innern enthält es einen riesigen Kamin, durch den die verbrauchte Luft nach oben ausgeblasen wird.

Das heute so monströs anmutende Gebäude wurde erst 1980 fertiggestellt. Zuvor waren die Bauarbeiten durch einen Sparbeschluss der Stadtregierung für vier Jahre unterbrochen worden. Die Planung begann 1971. Der Architekt Hänska hinterließ in jener Zeit auch an einer anderen Stelle der Stadt deutliche Spuren. Das “Sanierungsgebiet Kreuzberg Süd” fällt in die unrühmliche Phase der Berliner Stadtgeschichte, in der ganze Altstadtviertel für gigantomanische Verkehrsprojekte geopfert wurden. Hänska errichtete dort einen Wohnriegel. Das Tierlabor ist nur eines von einer ganzen Reihe Berliner Nachkriegsbauten, die der Science-Fiction-Welt zu entstammen scheinen: Das Raumschiff des Internationalen Kongresszentrums, der “Bierpinsel” (ein Turmrestaurant über der U-Bahn-Station Schloßstraße) und die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße sind die markantesten Vertreter dieser Gattung. Doch keines von diesen zeichnet ein so düsteres Bild von der Zukunft wie das Tierlabor. Um wenigstens den Namen etwas abzumindern, nennt sich der Forschungsbereich seit einigen Jahren ganz neutral “Forschungseinrichtung für experimentelle Medizin”. Die Forschungseinrichtung für Experimentelle Medizin kann man sich zumindest von aussen anschauen, und zwar in der Krahmerstr. 6 – 10 in 12207 Berlin. Weitere schöne Fotos finden sich bei findingsberlin.com.

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Der Autor des Artikels, Oliver Elser, ist Kurator im Deutschen Architekturmuseum und ist Initiator des Projekts restmodern – alltägliche Nachkriegsarchitektur in Berlin.