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Eine der schönsten Ausflüge in Buenos Aires sind für mich nach wie vor endlose und ziellose Stadtspaziergänge durch die engen und schier endlos scheinenden Straßenschluchten.

Von Hochhäusern und ständigem Einzelhandel, Kiosken und Cafés gesäumt, kann man sich vom lebendigen Strom der Menschen durch das strikte Schachbrettraster treiben lassen, nach je 120 m muss man sich dann nur entscheiden ob man nach rechts, nach links, geradeaus oder wieder zurückgehen möchte.

Erreicht man durch Zufall oder gewollt die Avenida Las Heras wird man Zeuge der Umkehr dieser strengen Blockrandbebauung. Plötzlich tut sich eine ungewohnte Weite im Stadtbild auf.  Vereinzelte Bäume, ein ca. 12 m hoher Park und eine wahnsinnige Betonskulptur ragen leicht schüchtern und doch bestimmt in den stahlblauen Himmel dieser Stadt.

Neugierig verlasse ich den Bürgersteig um mich auf eine äußerst breite und lange Rampe zu begeben. Die erste räumliche Erfahrung der „neuen“ Stadtbibliothek ist also ein öffentlicher Platz der sich langsam von der Stadt in die Vertikale bewegt und dem eigentlich Gebäude nähert.

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Sich Erhaben inmitten eines Blockes zu befinden ist eine seltene Erfahrung, die einem die Stadt aus dieser Sicht noch genauer vor Augen hält. Beindruckende Sichtbezüge zwischen den großen und schweren „Pilotis“, welche die Innenräume des Gebäudes tragen, erzeugen eine skurrile, bühnenartige Stadtszene in der ich nun anmutig den Kontrast zwischen gebautem und nicht gebautem genieße.

Zugunsten dieser städtebaulichen Geste ist das Gebäude also in zwei horizontale scheiben geschnitten worden, einem unterirdischen Bücherarchiv zum Schutz vor hoher Luftfeuchtigkeit und einer schwebenden Bücherei mit Lesesälen, Vortragssälen, einem großen Konzertsaal und einem hängenden Café! Inmitten beider: die Stadt!

1962 wurde der Wettbewerb vom bekannten argentinischen Architekten und Künstler Clorindo Testa (im April diesen Jahres im Alter von 90 Jahren verstorben) sowie Francisco Bullrich und Alicia Cazzaniga de Bullrich gewonnen, jedoch erst 1992 fertiggestellt.

Lust auf einen Besuch? Dann nach den Öffnungszeiten schauen!

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Jens Wolter lebt und arbeitet als Architekt und als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Architekturgeschichte- und Architekturtheorie der Universidad de Palermo Buenos Aires in Argentinien. Er gründete 2010 sein eigenes Büro für Architektur und urbane Kultur in Buenos Aires. 

La Biblioteca National, Buenos Aires Quelle: Jens Wolter