Pasaje Obelisco Sur, Buenos AiresQuelle: Jens WolterPasaje Obelisco Sur, Buenos AiresQuelle: Jens Wolter

Buenos Aires

Viele haben vermutlich schon von der berüchtigten, für Argentinier breitesten Straße der Welt gehört: Die Avenida 9 de Julio. In den 1880er Jahren geplant wurde sie ab 1935 zögerlich durch die 110 m breiten bebauten Häuserblöcke geschnitten. Ihr Herzstück: Der Obelisco. Täglich bewegen sich hier tausende Menschen im belebten Businessdistrikt, lautes Hupen, lange Blech- und Menschenlawinen, die sich schon früh morgens über den Asphalt schieben, bestimmen das angeregte, oft hektische Straßenbild.

Zwischen den Fassaden misst der Raum ca. 140 m. Um diese zu überqueren bedarf es an Geduld und schnellem Schritt, zwei Ampelphasen sind das Minimum!

Nachdem ich mehrere Blocks gelaufen bin fällt mein Blick auf ein ranziges, leicht abgeblättertes Schild direkt neben einem kleinen Zeitungskiosk. Unscheinbar weißt es auf einen Zugang zur U-Bahn hin, im Hintergrund ragt der Obelisk in die Höhe, man kann zwischen Graffiti noch folgendes lesen:

“Locales Comerciales – Galeria Comercial!”

Von Neugier getrieben begebe ich mich in die Unterwelt der Avenida 9 de Julio. Unten angekommen erstreckt sich vor mir die in den 1940er Jahren eröffnete und in den 1960er Jahren in ein „Shopping“ umgewandelte Unterführung. Für Kenner der Innenstadt ist dies wohl die schnellste Art, die Avenida 9 de Julio zu unterqueren, doch für viele ist es auch eine eigene, in der Zeit stehengebliebene Welt, in der man oft zur Pause oder zum Schnack verweilen kann. Eine Art Querschnitt typischer, argentinischer Kultur die man dort noch fühlen und erleben kann: Eine 140 m lange Zeitreise!

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, das GürtelfachgeschäftQuelle: Jens Wolter

Nachdem ich am Gürtelfachgeschäft vorbeigegangen bin entscheide ich mich, extra für diesen Beitrag aktiv am Leben dieser eigentümlichen Unterwelt teilzunehmen.

Die erste Station: Der Schuhputzer

Calzado Inmortal, Especial para Profesional!
Schuhwerk, die Unsterblichen! Speziell für den Berufstätigen!

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, der SchuhputzerQuelle: Jens WolterPasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, der SchuhputzerQuelle: Jens Wolter

Ich lasse mich auf eine kleine Tribüne mit Ledersitzen nieder und lege meine Füsse samt Schuhe unmittelbar auf den güldenen Fusshalter ab. Gesäumt von alten Fotos aus vergangenen Tagen der Schuhputzer und berühmten Tangokoryphäen genieße ich das einer Fußmassage ähnelndem Putzen meiner Schuhe. Angeregt unterhalten sich die einzelnen Schuhputzer untereinander, murmeln sich Unverständliches zu und lachen hin und wieder. Neben mir sitzt ein elegant gekleideter Businessmann im Anzug der interessiert seine Zeitung studiert während seine Lackschuhe aufblitzen.

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, der SchuhputzerQuelle: Jens WolterPasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, der SchuhputzerQuelle: Jens Wolter

Mein Blick fällt auf eine kleine Wand des Schumachers gegenüber. Zwischen Jesus und der heiligen Jungfrau Maria hängen ein Paar Fotos der Kinder und natürlich auch der Papst Francisco. Zwischen Neonlicht und Schuhkartons ein Moment der Wohnlichkeit und Privatsphäre die genauso ausgestellt ist wie der Holzschuh, der einen freundlich anzulächeln scheint.

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, der SchuhputzerQuelle: Jens Wolter

Mein Magen knurrt mittlerweile zum zweiten Mal. Ich hatte bereits in Erwägung gezogen bei MacDonalds eine Big Mac einzuschieben. Die bessere Alternative naht jedoch während ich tiefer in den Tunnel vorschreite.

Die zweite Station: Mac Sandwiches

Gut gegrilltes Fleisch ist in Argentinien leicht zu bekommen und auch hier, in den Katakomben, schmeckte das halbrote Rindersteak vorzüglich! An einer schlichten Bar, an der man sich aufbaut als wollte man einen Feierabendwhisky zu sich nehmen, kommt man in den Genuss typischer Spezialitäten des lokalen Grillwesens. Gefüllte Teigtaschen (Empanadas), Schnitzel, al Plato (auf dem Teller) oder als Sandwich, Hamburger, Würstchen im Brot (Choripan), Käse Schinken Sandwiche etc.

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, Mac SandwichesQuelle: Jens Wolter

Mit gefülltem Magen geht’s weiter Richtung Ausgang. Zwischen Elektroaccesoires, der argentinschen Post,  Antiquitätenhändlern und Abziehbildern von James Bond aus den 1960ern fällt mein Blick auf ein Glasfenster:

Pelo y Barbas Sur!
Haare und Bärte Süd!

Die dritte Station: Der Frisör Don Alberto

Jens Wolter Quelle: Jens WolterPasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, San Pelo BarbasQuelle: Jens Wolter

Alberto bittet mich direkt Platz zu nehmen und ich sage ihm einfach nur: Kurz. Langsam zückt er Kamm und Schere und macht sich ans Werk. Wir unterhalten uns über die Stadt, die Natur, er versichert mir, das er leidenschaftlicher Hobbygärtner ist und es mag, dass die Äste der Bäume von der Straße über seine Terrasse im ersten Stock ragen. Das gäbe schönen Schatten. Das Paradoxe der Unterwelt ohne Tageslicht in seiner bizarren und herzlichen Alltäglichkeit. In gemächlichem Tempo schneidet er die Haare, während ich mir die hektische Schnelligkeit und Geräuschkulisse eines Stockwerks höher vorstelle. Der Kontrast könnte nicht grösser sein. Eine achtzigerjahre Frisörladen der aussieht als käme er aus den 1960ern. Ich bin der einzige Kunde, es ist Mittag. Alberto versichert mir dass er hier schon seit 34 Jahren arbeitet, er ist Stolz auf seinen Frisörsalon!

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, San Pelo BarbasQuelle: Jens Wolter

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Jens Wolter lebt und arbeitet als Architekt und als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Architekturgeschichte- und Architekturtheorie der Universidad de Palermo Buenos Aires in Argentinien. Er gründete 2010 sein eigenes Büro für Architektur und urbane Kultur in Buenos Aires.

Weiter schöne Impressionen aus der Ladenzeile:

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, Mac SandwichesQuelle: Jens WolterPasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, Mac SandwichesQuelle: Jens Wolter

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, elektrofachgeschäftQuelle: Jens Wolter

Pasaje Obelisco Sur, Buenos Aires, Quelle: Jens WolterPasaje Obelisco Sur, Buenos AiresQuelle: Jens Wolter