Das ehemalige Tiring Kaufhaus

Das ehemalige Tiring-Kaufhaus

Der Ataba-Platz in Kairo. Einst prallten hier Welten aufeinander. Orient und Oxident. Arabien und Europa. Geschichte und Moderne. Diese Stelle markiert im Stadtbild von Kairo einen prägnanten Punkt entlang der scharfen Trennlinie zwischen der muslimischen Altstadt und der europäisch geprägten Neustadt, die heute Downtown genannt wird. Hier erhebt sich das ehemalige Tiring-Kaufhaus mit seiner markanten Kuppel und den vier weithin sichtbaren Atlas-Figuren. Erbaut wurde das imposante Eckhaus 1912 vom tschechischen Architekten Oscar Horowitz im Auftrag des österreichischen Unternehmers Victor Tiring. Architektonisch stand es seinem Vorbild, der Galerie Lafayett in Paris, in nichts nach. Mit seinen hochaufragenden Fenstern und weitläufigen Verkaufsflächen über fünf Etagen wurde es schnell das erste Haus am Platze.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges fiel Ägypten unter britische Kontrolle. Deutsche, Österreicher und Ungarn mussten das Land verlassen. Das Tiring-Kaufhaus wurde 1920 als feindliches Eigentum beschlagnahmt und geschlossen. Obowhl sich immer wieder konkurrierende Kaufhausbesitzer um den Erwerb des Gebäudes bemühten, verhinderten die schwierigen Besitzverhältnisse eine Übernahme. Somit begann schon bald der langsame Verfall des ehrbaren Hauses. Zwischenzeitlich beherbergte es eine Bar, eine Moschee, sowie zahllose Geschäfte und permanente Bewohner. Heute sind es vor allem kleine Schneiderwerkstätten und Modeläden, die in den geschichtsträchtigen Gemäuern ihr Geschäft betreiben.

Im Osten des Tiring-Gebäudes erstrecken sich seit Jahrhunderten die verwinkelten Gassen vom El Mousky, einem quirligen Suq, auf dem es alles zu kaufen gibt, was das Hez begehrt: handbemalte Grußkarten zu allen Anlässen, Brautmoden, Messingwaren. Für jedes Produkt gibt es eine gesonderte Gasse, in der sich die Läden in langer Tradition auf die Herstellung eines bestimmten Erzeugnisses spezialisiert haben. Um des Chaos Herr zu werden und einen Passierweg für seine Truppen zu schaffen, ließ Napoleon während seines Ägyptenfeldzuges eine gerade Schneise in Ost-West-Richtung durch das Labyrinth schlagen, die heutige Al Moski-Straße, das Herz des Viertels.

Der Eingang zu El Mousky, der islamischen Altstadt Kairos

Der schmale Durchgang hinter der Laterne bildet den Eingang zu El Mousky, der islamischen Altstadt Kairos

Im Westen erstreckt sich das an Hausmanns Paris angelehnte Neustadtareal Kairos. Hier residierte zu Kolonialzeiten die europäische Oberschicht, die gerne in Kairo überwinterte. Ein beliebtes Ziel war das Continental-Savoy Hotel, von dessen opulenter Terrasse man einen wunderbaren Blick über die angrenzenden Ezbekia-Gärten Richtung El Mousky hatte. Der Oxident starrte so bei Gin-Tonic und aus sicherer Entfernung in den exotischen und wilden Orient, und der Orient schaute mit ebenso großer Verwunderung zurück. Das Hotel wurde in den 1980ern geschlossen und ist mittlerweile, ebenso wie das Tiring-Gebäude, von Schneidern und Boutiquen besetzt worden.

Das Continental-Savoy Hotel

Das Continental-Savoy Hotel

Viel hat sich geändert in Kairo seit die Kolonialherren das Land verließen. In historischer Ironie hat sich die Altstadt die einstige Neustadt, ehemals Inbegriff europäischer Moderne, vollkommen einverleibt. Markstände breiten sich auf den Bürgersteigen aus, die Prachtboulevards können den Verkeht kaum noch aufnehmen und viele imposante Gebäude des Paris am Nil, wie Kairo in der ersten Hälfte des vorherigen Jahrhunderts häufig genannt wurde, verfallen zusehends. Dem Tiring-Gebäude ergeht es nicht anders. Viele Fenster sind eingeschlagen, die Bausubstanz verkommt. Die gläserne, einst blaue Erdenkugel der Altlas-Statuen wurde in einem blickdichten Beige übermalt. Wie ihr mytisches Vorbild tragen die vier Helden schwer an der sie umgebenden Welt. Trotzig aber aufrecht.

Blick in die Clot Bey Straße, die vom Tiring-Kaufhaus direkt zum Kairoer Hauptbahnhof führt

Blick in die Clot Bey-Straße, die vom Tiring-Kaufhaus direkt zum Kairoer Hauptbahnhof führt