Foto: Maike Aden

Foto: Maike Aden

Eine Kritik zur Ausstellung „Open Museum Open City“ in Zaha Hadids MAXXI in Rom von Maike Aden

(For English version, please download the attached PDF at the end of the post) Für etwa einen Monat, vom 24. Oktober bis zum 30. November hat Roms Nationalmuseum für die Kunst des 21. Jahrhunderts („MAXXI“) seine Räume leergeräumt, um sie mit nichts anderem zu füllen als mit Klängen. Zusätzlich sollen Konzerte, Performances, Projektionen und Debatten am Nachmittag das Haus in eine große performative und partizipative Bühne verwandeln. Das Projekt „Open Museum Open City“, so der Kurator Hou Hanru,[1] würde das Museum gleichsam in ein neues Forum Romanum transformieren, in dem über 40 Künstlerinnen und Künstler gemeinsam mit dem Publikum eine Verbindungen zwischen dem Inneren und dem Außen, zwischen dem Museum und der Stadt, zwischen der Kunstwelt und dem Publikum herstellen. Mit Kreativität und Fantasie würde so die soziale Bedeutung des öffentlichen Kulturraums aufgewertet und eine Neudefinition seiner architektonischen Gegebenheiten vorgenommen.

Das klingt nach einem spannenden Experiment. Dennoch erstaunt das Vorhaben, ein Projekt wie dieses ausgerechnet im Museum MAXXI zu organisieren, gilt doch der dekonstruktivistische Museumsbau der Pritzkerpreisträgerin Zaha Hadid ohnehin schon als perfekte Verkörperung eines „Geflechts aus Innen- und Außenraum“,[2] das „die Koexistenz vielfältiger Umgebungen“[3] erlaube und dadurch das urbane Leben der umliegenden Straßen eines bis dato etwas heruntergekommenen Viertels in Rom aufgewertet habe. Die andernorts übliche territoriale Abschottung der Kunst schien hier überwunden. Oder etwa nicht?

Zur Erinnerung: Als „offiziell bestes Gebäude der Welt“, über das man man „in der Geschichte der Architektur sprechen“[4] werde, wurde Zaha Hadids Museum 2009, nach elf Jahren Planungs- und Bauzeit und 150 Millionen Euro Gesamtkosten,[5] endlich eröffnet. Kritiker überboten sich mit Lobeshymnen auf das epochale Leistung der Architektin, die hier nicht bloß ein Gebäude geschaffen habe, sondern eine bescheiden wie geschmeidig in das Flaminioviertel integrierte Skulptur. Bewunderer verstiegen sich in literarische Höhenflüge, um „eines der erstaunlichsten Gebäude des beginnenden 21. Jahrhunderts“[6] anzupreisen, dessen komplexe, abstrakte Formen mit ihren verflochtenen, sich gegenseitig überlagernden Strängen und dynamisch wirbelnden Ebenen einen neuen, offenen, artikulierten Raum bilde, der ohne Anfang und Ende „ineinander, über- und untereinander zu fließen“[7] scheine. Die Sorgen von Ausstellungsmachern über die Praktikabilität der gebogenen Wände, geneigten Rampen und schrägen Böden für eine anständige Ausstellungspraxis wurde mit der Notwenigkeit neuer architektonischer Repräsentationen beiseite gewischt, die keine geschlossenen Weltbilder mehr zu vertreten habe, sondern Diversität und Offenheit.[8]

Dass Premierenovationen der Realität nicht immer standhalten, kann erleben, wer heute, fast fünf Jahre später, ein moderndes Rom erleben will und sich auf den Weg aus dem Zentrum dieser faszinierenden Kunst- und Kulturmetropole macht, um das Museum der Superlative zu besuchen. Die spektakulären Kritiken im Kopf glaubt man sich zunächst zu täuschen, wenn aus einiger Entfernung ein schmutziggrauer Betonklotz über und zwischen den Dächern der römischen Stadthäuser und Militärgebäude des Flaminioviertels hervorlugt – das im Übrigen einen viel zu intakten Eindruck macht, als dass es einer „Bilbao-Aufwertung“ bedurft hätte. Ungläubiges Staunen weicht fassungslosem Entsetzen, wenn sich das massive Ungetüm bei näherem Hinsehen als Zaha Hadids Museum herausstellt. Mit grimmiger Wucht schiebt sich hier ein großer, finsterer Klotz in die Via Luigi Poletti hinein. Bis auf einen aggressiv aus der Seite ausbrechenden, schweren und scharfkantigen Balkonblock bietet sich dem Auge auf dieser Masse Beton kein einziges Detail, keine einzige Unterbrechung, kein einziges Gestaltungselement, an dem es hängenbleiben könnte. Dagegen nimmt sich sogar das nahegelegene faschistische Olympiastadiongelände Mussolinis ausnehmend bescheiden aus. Das wirkliche Problem aber ist, dass die abweisende Geste dieses Ungetüms nicht nur ein ästhetisches Desaster ist. Dies wird unmittelbar klar, wenn der mit zahlreichen Überwachungskameras bestückte, hohe Sicherheitszaun aus grauem Stahl in den Blick gerät, der im Verbund mit Containern und Mauern das gesamte Museumsareal vom urbanen Lebensalltag abschirmt. So ist auch der an sich lauschig begrünte Vorplatz samt einer begehbaren Installation und einiger – bei meinem Besuch in orangefarbige Plastikabsperrbänder eingewickelten – Skulpturen nur zu Museumsöffnungszeiten über ein kamerakontrolliertes Schiebetorsystem zugänglich, das man nach einer Umrundung dieses scharf bewachten Areals der Hochkultur erreicht. Von dieser Seite aus zeigt sich immerhin die Gebäudestruktur ein wenig abwechslungsreicher. Die abschreckende Hochsicherheitsästhetik ringsherum macht aber jede Lust am Hinschauen sofort wieder zunichte. Selbst die Schutzmauern der benachbarten Militär- und Polizeikasernen, gebaut aus dem für Rom typischen rot-gelb-beigen Sandstein, wirken vergleichsweise einladend. Die Rede von der sensiblen Integration dieses Museums in seine urbane Umgebung ist schlichtweg ein Witz. Mehr noch, ein Museum, das seine Kunstwerke derart verschanzen muss, ist eine kulturelle Katastrophe. Die Allgegenwärtigkeit herausragender Kunstwerke in Roms Straßen, Basiliken, Palästen und Kirchen findet hier, in der Entfremdung der zeitgenössischen Kunst, ihren traurigen Konterpart. Zwar gibt das MAXXI auf seiner Museumswebsite vor, „als großer Campus für Kultur […] einen neuen, offenen, artikulierten und beim Vorbeigehen permeablen urbanen Raum“[9] bilden zu wollen. Tatsächlich aber trägt jedes seiner baulichen Elemente die unmissverständliche Botschaft einer Entdemokratisierung der Kunst in sich. Selbst mit „niedrigschwelligen“ oder „diversifizierteren“ Angeboten der Museumspädagogik, einem Mehr an Öffentlichkeitsarbeit, günstigeren Eintrittskarten (zurzeit stolze 11 € !) oder längeren Öffnungszeiten ließe sich, so ist zu befürchten, diesem skandalösen Belagerungszustand der Kunst wahrscheinlich kaum beikommen. Solche Maßnahmen bleiben solange eine leere Höflichkeitsgeste, wie sich das Museum so demonstrativ abschottet. Dabei ist doch gerade die faszinierende Stadt Rom das beste Lehrstück dafür, dass allein die sichtbare Präsenz der historischen Werke langsam und unmerklich ein Gefühl der Vertrautheit mit der Welt der Kunst verankert. Ein Museum voller Klänge könnte ein guter Anfang sein, dass auch aktuelle Kunst eine öffentliche Bühne bekommt und ohne physikalische und symbolische Hürden wahrnehmbar wird. Man bräuchte nur den Tönen Tür und Tor weit öffnen, damit sie sich draußen auf der Straße in aller Zwanglosigkeit zu einem Gesamtkunstwerk aus Musik, Lärm, Tanz, Stimmen und Stille sowie Licht und Vergnügen vereinen können.

Weitere Abbildungen:

—————————————————————————————

Fußnoten:

[1] Vgl. Hou Hanru; online auf http://www.youtube.com/watch?v=5ArZeA59oEk

[2] Eva Herrman: Wahrlich keine der üblichen Schachteln mit Kunstlicht. MAXXI – Museo nazionale delle arti del XXI secolo; in: mapolis | Architektur; online auf http://architektur.mapolismagazin.com/zaha-hadid-maxxi-museo-nazionale-delle-arti-del-xxi-secolo-rom

[3] Website des MAXXI; online: http://www.fondazionemaxxi.it/multi/de_maxxi.html

[4] Redaktion Detail Daily; online: www.detail.de/daily/zaha-hadids-maxxi-ist-offiziell-bestes-gebaeude-der-welt-153/

[5] Vgl. Wikipedia: MAXXI. Museo nazionale delle arti del XXI secolo; online: de.wikipedia.org/wiki/MAXXI_-_Museo_nazionale_delle_arti_del_XXI_secolo

[6] Hanno Rauterberg: Wirbeln und Wogen; in: DIE ZEIT Nr. 47 2009; online: http://www.zeit.de/2009/47/Rom

[7] Wikipedia, a.a.O.

[8] Vgl. Rauterberg, a.a.O. 2009

[9] Website des MAXXI, a.a.O.

 

Über die Autorin:

Dr. Maike Aden schreibt, lehrt und forscht über die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts und ihre Vermittlung. 2009 wurde sie über den Künstler „Bas Jan Ader und seine aktuelle künstlerische Rezeption bei Elke Krystufek, Jonathan Monk und Hague Yang“ promoviert. Als Postdoc forschte sie über „Künstlerisches Rekonstruieren und Recyclen“, über „Graphien als Instrument der Sinn- und Wissensbildung“ und über den „Bildgebrauch im Christentum heute“. Seit 2012 betreibt sie neben ihren Lehr- und Forschungsaktivitäten auch die Erschließung und Präsentation eines Archivs für Künstlerpublikationen und verrichtet die kunstwissenschaftliche Forschungsarbeit für Ausstellungen über das Genre der Künstlerbücher und für ein Klassifikationssystem für Künstlerpublikationen. Die verschiedenen Engagements bilden insgesamt ideale Rahmenbedingungen, Diskurs und Praxis zu verbinden. Speziell die Erfahrungen auf dem Feld der Künstlerbücher lassen kreativ mit Grenzen und Dialogen zwischen Forschung und Ästhetik, Imagination und Dokumentation, Konzept und Material, Prozess und Form etc. verfahren. Zahlreiche Vorträge und Publikationen dokumentieren einen erfahrungsbasierten, analytisch-provokativen Blick auf hegemoniale Diskurse und Definitionen der Kunstwissenschaft ebenso wie ein konstruktives Eintreten für eine eigensinnige Positionierung gegenüber wissenschaftlichen, pädagogischen und globalökonomischen Paradigmen und Regulierungen.

English Version here: Art under siege