Schwarzes Rechteck im Querformat.

Eine Polemik.

Ich möchte nichts mehr sagen zur Diskussion um die historische Mitte Berlins, über den Stadtplatz unter dem Fernsehturm. Ein alter Hut, diese Mitte, die es heute angeblich gar nicht mehr gibt, wie einige sagen, die man gar nicht mehr braucht, wie andere sagen, die unbedingt wieder da sein muss im neuen oder im alten Gewand, die bleiben soll, wie sie ist, die bleiben aber doch verändert werden soll, die neue Funktionen braucht aber keine Gestalt, die eine bestimmte Gestalt aber keine Funktionen brauchen soll… Eines aber ist immer klar, da sind sich alle einig, alle Bürger sollen mitdiskutieren. Aber sie tun es nicht.

Die feige, langweilige Diskussion, die die Senatsverwaltung 2015 geführt hat, ging an den Themen der Stadt vorbei, erreichte die Menschen nicht, da man versucht hat, eine sachliche Debatte zu führen, die ohne Bilder auskommt. Weil sie die vorhandenen Bilder, Wünsche, Träume, Illusionen ebenso ignorierte wie den Bestand, von dem bislang nur der Fernsehturmsockel denkmalpflegerisch untersucht wurde. Weil sie mit den Bildern die eigentlichen Fragen und Antworten unterdrückt hat, weil sie den unerhört beredten, symbolischen und demaskierenden Wert von imaginierter und realer Architektur und Städtebau bei der Diskussion um die Gestaltung von Stadt aussperren wollte. Aber wie bekommt man Bilder raus aus den Köpfen? Die Bilder all der Abwesenheiten, die in den Stadtmuseen ausgestellt worden sind. Die Bilder der zukünftigen Anwesenheit dieser Abwesenheiten, die die Gesellschaft Historisches Berlin propagiert? Die Bilder des Originalzustands des heutigen Stadtplatzes aus den 70er Jahren, hellblauer Berliner Sommerhimmel und Brautpaar mit Elbe, Wasserkaskaden im hellrosasozialistischen Sonnenuntergang? Die Erinnerungen der Anwohner also, die Träume der Historiker – Sehnsüchte von Nostalgikern, allemal! Aber was ist denn die Stadtmitte, der Kern des historischen Berlin, der Ursprung unserer Stadt wenn er das begehrte Brennglas, der zugeschriebene Zentrifugalpunkt, der dehnbare Diffusionsort, der angebliche Anker, die fehlende Verbindung, die intrinsische Identität sein soll, was ist dann die Stadtmitte wenn nicht ein Ort der Emotion?

Wenn an diesem Ort später tatsächlich frei, offen und ehrlich Stadt verhandelt werden soll, warum startet dann die öffentliche Diskussion mit dem Selbstbetrug der Sachlichkeit und Neutralität, mit der Lüge, es gäbe keine Ideen, mit dem Ausschluss bestimmter Meinungen, mit einem der Architektur und Stadtplanung vollkommen zuwiderlaufenden Bilderverbot? In Mitte geht es nicht vordergründig um Funktionen! Die Idee, zuerst über Funktionen der Stadtmitte zu sprechen und abstrakte funktionale Konstrukte zwischen Welt-Stadt-Repräsentation und Agora zu entwerfen, führt in gestaltlose, phantasielose, aneignungsferne, verkopfte, artifizielle, harmoniesüchtige, feige, sterile Langeweile. Denn hier geht es um Emotionen!

Es geht um den Streit, welche Architektur, welchen Städtebau, welche Denkmalpflege wir heute wollen. Welches Bild von Berlin nach Innen und Außen vermittelt werden soll. Welche Zeitschicht soll erinnert werden, wie gehen wir mit dem nachkriegsmodernen Bestand um, wie mit der Geschichte der DDR, der Teilung der Stadt? Wie gehen wir mit dem Abwesenden um? Was machen wir mit den Erinnerungen und Gefühlen der Berliner, die sich hier in abwesender, anwesender oder zukünftiger Architektur ablesen lassen? Das alles sind die wirklichen Fragen. Warum leugnen, dass es hier um Ost und West geht, um eine Revision und um ein Bewahren der Moderne, um unterschiedliche Identitätskonstruktionen für das historische, das heutige, das zukünftige Berlin? Werden wir das alles dann diskutieren, wenn irgendwer eine irgendwie geartete Agora gebaut hat oder reden wir jetzt darüber? Warum diese jahrelange Deeskalationsstrategie, warum diese Unterdrückung der großen Fragen?

In welcher Stadt wollen wir leben? Wer soll in Berlin wie wohnen dürfen? Wer hat die historische Deutungshoheit? Wer bestimmt die zukünftige Entwicklung? Wie riesig ist eigentlich schon die Diskrepanz zwischen dem Image der offenen, innovativen, kreativen, impulsiven, aneignungsfähigen und inklusiven Stadt Berlin und der Realität aus Schlossrohbau, von Luxuswohnungen einstürzenden Kirchbauten, urbanen Familien am Stadtrand, suburbaner Lebensweise im Zentrum und grünen Verhinderern von Flüchtlingsunterkünften? Von einer ehrlichen Diskussion über Mitte ausgehend kann man für viele dieser Fragen Antworten finden. Wo soll er denn sonst geschehen, der Crash, der Knall, das Aufeinanderprallen der Identitätskonstruktionen wenn nicht in Mitte? Ein ehrlicher Streit, ein Bilderstreit, ein Ideologiestreit, ein Erinnerungsstreit, ein Gerechtigkeitsstreit, ein Architekturstreit bringt die Leute hinter den längst verschwundenen Kachelöfen hervor. Darüber möchte ich gerne streiten. Austausch ist die Funktion der heutigen Mitte, diese Frage ist doch schon geklärt. Jetzt muss aber auch mal gestritten werden dürfen. Packt Eure geheimsten Mitte-Bilder aus!