Immer wieder entstehen in Städten rechtsfreie und damit planungsfreie Gebiete und werfen die Fragestellung der Bewertung anarchistischer Orte zwischen Kriminalisierung und Romantisierung auf. Meistens entstehen diese Räume durch das Auftreten eines zweiten Machtfaktors (linksorientierte Bürger im Falle Christianias oder organisierte Kriminalität im Falle Neapels usw.), der die Hoheit der Stadt ersetzt. Der Fall von Kowloon Walled City in Hong Kong unterscheidet sich hierin, dass zwei Staaten sich nicht über deren rechtlichen Status entgultig einigen konnten und so ein Machtvakuum entstehen ließen und machen den Fall des 2.6 Hektar grossen Gebietes für die Fragestellung interessant.

(Zwei Bilder aus der Entstehung von KWC)
Der Name Walled City ruht auf einer ehemaligen Garnison an dieser Stelle, welche trotz des Erwerbs von Kowloon durch die brittische Krone von 1898 bis 1997 vom chinesischen Militär betrieben werden durfte, solange deren Aktionen nicht mit britischen Interessen kollidierten. Diese merkwürdige Sonderregelung zwischen den beiden Staaten in der “Convention for the Extension of Hong Kong Territory” führte jedoch nach dem zweiten Weltkrieg zu einer ungeklärten und damit größtenteils rechtsfreien Situation. Zugleich war es chinesisches Hoheitsgebiet, lag aber praktisch inmitten Hong Kongs.

Dies zog über die Jahrzehnte nicht nur Kriminelle an, hier zu leben oder zu arbeiten sondern vor allem auch China-Flüchtlinge und sozial Schwache. Die Bevölkerung wuchs von 2000 Bewohnern um 1947 bis auf 50.000 beim Abriss von KWC im Jahre 1992. Damit galt es als der dichtbesiedelste Ort der Welt mit hochgerechnet 1,9 Mio Einwohnern/qm. Die Geschichte erwieß sich in der Zeit als sehr wechselhaft. Galt KWC in den 70er Jahren als Rückzugsort der Triaden, wurde die Selbstregulierung und niedrige Kriminalitätsrate der Stadt in den 80er Jahren, wohl auch wegen ihres geplanten Abrisses vor Augen (beschlossen 1983 zwischen China und Großbritannien), geprießen.

(Innenaufnahmen von Greg Girard)

Die eingehend gestellte Frage läßt sich wohl rückblickend nicht so einfach beantworten, weil KWC und seine Probleme im Zusammenhang mit Hong Kong als Ganzes gesehen werden müssen. Die Einwohner erhielten nach dem Abriß eine Entschädigung und es wurde ein Park an der Stelle errichtet. Nichts soll heute in der chinesischen Diktatur mehr an die Existenz eines selbstorganisierten Wohnblocks erinnern.

Die Filmindustrie scheint jedoch die Fragestellung für sich beantwortet zu haben. “Bloodsport” mit Jean-Claude Van Damme gedreht in den Gassen von KWC zeichnen das Bild einer kriminellen Hochburg.

Quellen: 1, 2, 3, 4, 5, 6