Strategische Landschaft bei Tychowo, Pommern - Bunker mit Sperrzäunen (links) und Kriegsgefangenenlager Stalag Luft IV (rechts)

Strategische Landschaft bei Tychowo, Pommern - Bunker mit Sperrzäunen (links) und Kriegsgefangenenlager Stalag Luft IV (rechts)

Das Projekt „Pomeranian Super Bunker“ hat zum Ziel, eine zukunftsfähige Nutzung für eine polnische Kulturlandschaft zu finden, die mehrere historische Schichten militärischer Nutzung aufweist. Das Gebiet liegt in der polnischen Wojwodschaft Westpommern, im Landkreis Tychowo, ca. 30 km südlich der Hansestadt Koszalín, ca. 250 km nordwestlich von Berlin und etwa ebenso weit entfernt von Kaliningrad – genau auf halber Strecke der begonnenen aber nicht vollendeten Reichsautobahn 3 von Berlin über Stettin nach Kaliningrad, der „Berlinka“.

Naturräumlich ist das Areal charakterisiert durch einen dichten Kiefernwald. In diesem Wald befinden sich die Überreste des nationalsozilaistischen Kriegsgefangenenlagers Stalag Luft IV, in dem im Zweiten Weltkrieg Soldaten der alliierten Luftwaffe interniert waren; eine sowjetische Atomwaffenbasis in einem Bunker aus den 1970er Jahren sowie ein in den 1990er Jahren entstandenes polnisches Zivilgefängnis.

Vom 3. bis zum 6. Juni 2010 fand ein Auftakt-Workshop zum Projekt „Pomeranian Super Bunker“ in Koszalín statt, an dem urbanophil mit vier Teilnehmenden beteiligt war.

Das Projekt wurde initiiert von Gall Podlaszewski, Architekt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Design an der Politechnika Koszalín und Doktorand an der Bauhaus-Universität Weimar („German Urban Heritage as a Design Factor in Polish Middle Pomerania“). An dem Workshop nahmen neben den Urbanophilen Linda Lichtenstein, Verena Pfeiffer, Christian Kloss und Lukas Foljanty Doktoranden, wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende der Universitäten ?ódz, Poznan, Gdansk und Koszalín sowie zwei Fotografen teil. urbanophil – Netzwerk für urbane Kultur e.V. übernimmt die Dokumentation des Projekts auf Deutsch, um Aufmerksamkeit in Deutschland zu wecken.

Dieser erste, viertägige Workshop diente der Exploration des Gebietes und des gegenseitigen Austausches.

Die Explorationsgruppe an der Ausgangsstation Podborsko. Foto: Wojtek Grela

Die Explorationsgruppe an der Ausgangsstation Podborsko. Foto: Wojtek Grela

Gebietsbegehung als zentraler Teil des Workshops

 

Am Rande einer kleinen Landstraße mitten im Kiefernwald im dünn besiedelten Mittelpommern, unweit des Bahnhofs Podborsko (ehemals „Kiefheide“), taucht unvermittelt die Gedenkstätte für das ehemalige Stalag Luft IV vor uns auf.

Zentrales Denkmal für die Inhaftierten von Stalag Luft IV. Bildhauer: Zygmunt Wujek, 1993. Foto: Christian Kloss

Zentrales Denkmal für die Inhaftierten von Stalag Luft IV. Bildhauer: Zygmunt Wujek, 1993. Foto: Christian Kloss

Drei Gedenksteine, die etwas von der Straße zurückgesetzt angeordnet sind, wurden im ehemaligen Zentrum des Lagers aufgestellt. Hinter den Gedenksteinen erhebt sich ein kleiner Hügel unter dem sich ein Gewölbe – einst die Speisekammer des Lagerbereiches A – befindet.

Ehemalige Speisekammer des Lagerbereiches A. Foto: Wojtek Grela

Ehemalige Speisekammer des Lagerbereiches A. Foto: Wojtek Grela

Eines der beiden Löschwasserbecken aus Beton, gefüllt mit Regenwasser, ist zwischen den Bäumen zu sehen. Das andere liegt nicht frei. Die steinernen Fundamente der ehemaligen Baracken sind als niedrige, langgezogene, dicht hintereinander folgende Stolperhügel fühlbar, der weiche Waldboden unter den Kiefern wird so zu einer welligen Landschaft.

Löschwasserbecken. Foto: Wojtek Grela

Löschwasserbecken. Foto: Wojtek Grela

Diese Spuren des Krieges und des Leidens strahlen im Zusammenspiel mit der beinahe idyllischen Waldlandschaft eine an Friedhöfe erinnernde Ruhe und Besinnlichkeit aus.

Stalag Luft IV (1944-1945)

Das Stammlager Luft IV war eines der vielen auf dem Gebiet des deutschen Reichs verteilten Kriegsgefangenenlager für Soldaten der alliierten Luftwaffen. In Luft IV waren überwiegend amerikanische und britische Soldaten inhaftiert aber auch Männer aus anderen Nationen. Das Lager war nicht lange in Nutzung. Im Mai 1944 kamen die ersten Gefangenen am Bahnhof Podborsko an. Im Februar 1945 wurde das Lager aufgrund des Westvormarsches der Roten Armee geräumt, indem die Soldaten gezwungen wurden, in einem 86tägigen Todesmarsch zu Fuß und über viele Umwege bis in die Nähe von Halle/Saale zu gehen, von wo aus sie teilweise wieder zurück nach Osten verschickt wurden.

Bei der Ankunft der ersten Soldaten 1944 war das Lager noch nicht vollständig errichtet. Von den 1945 vier Barackenfeldern der rechteckigen Anlage stand damals nur eines. So war es Aufgabe der Gefangenen, das Lager zu bauen. Dieses war mit insgesamt ca. 10.000 Inhaftierten meist überbelegt (ausgelegt war es für knapp die Hälfte), die hygienischen und medizinischen Verhältnisse waren schlecht, Nahrung unzureichend.

Die sehr aktive US-amerikanische Veteranenvereinigung Luft IV Organization stellt auf ihrer Internetseite zahlreiche Zeitzeugenberichte von Inhaftierten, Angestellten und dem Roten Kreuz sowie Fotos zur Verfügung, die Aufschluss über das Lager und die Lebensbedingungen in ihm geben.

Die Gedenksteine wurden 1988 und 1992 gesetzt, bereits 1982 wurde an der Landstraße ein Hinweisschild errichtet. Die Denkmäler aus den 1980er Jahren gehen auf die Initiative lokaler Englisch- und Geschichtslehrer zurück. Der Gedenkstein von 1992 ist nach Ende des Kalten Krieges in Kooperation zwischen der amerikanischen Organisation Luft IV und der polnischen Gruppe entstanden. Der damalige polnische Präsident Lech Walesa unterstützte die Initiative, der Gedenkstein wurde von Zygmunt Wujek (*1938 in Rawiczu), einem bekannten polnischer Bildhauer und Dozent an der Politechnika Koszalin, geschaffen.

Im Mai 1993 kamen im Zuge der Kooperation zwischen der amerikanischen und der polnischen Initiativen zum ersten Mal nach dem Ende des Krieges und des Kalten Krieges Überlebende des Stalag Luft IV aus den USA an den Ort zurück.

Historische und aktuelle Fotos des Lagers: hier.

Zum besseren Verständnis des Gebietes verlassen wir als Expeditionsgruppe befestigte Wege und schlagen uns vom Stalag Luft IV quer durch den Wald in Richtung Nordwesten. Der Wald, der zwar auch bewirtschaftet wird, hat etwas Wildes und versperrt uns immer wieder den Weg. So benötigen wir weit länger als gedacht für die etwa 4 km Luftlinie zwischen dem Stalag und der Bunkeranlage aus dem Kalten Krieg, die unser nächstes Erkundungsziel ist. Unser Gang durch den Wald führt uns nach einiger Zeit auf eine Straße aus Betonplatten, die – so wird es uns berichtet – früher in ihrer gesamten Länge mit einem Tarnnetz überspannt war. Am Straßenrand erscheinen die ersten Anzeichen des Bunkers: Betonpfähle der ehemals sieben Stacheldrahtringe, die das Gebiet sicherten. MG-Nester auf Hügeln, alles strategisch versteckt in der Botanik.

Reste einer der sieben Zaunringe um den Bunker. Foto: Wojtek Grela

Reste einer der sieben Zaunringe um den Bunker. Foto: Wojtek Grela

MG-Nest in der Sperrzone um den Bunker. Foto: Wojtek Grela

MG-Nest in der Sperrzone um den Bunker. Foto: Wojtek Grela

Bunkeranlage als Lager und Abschussrampe von atomaren Sprengköpfen (1968-1993)

Über die Bunkeranlage, die aus mindestens zwei Hauptbunkern und einem Hangar besteht, ist wenig bekannt. Sie ist dem derzeitigen Wissenstand zu Folge ab 1968 entstanden und war bis 1993 in Betrieb. Eigentümer und Nutzer der Anlage war die sowjetische Armee, die hier atomare Sprengköpfe einlagerte und in einem entsprechenden Hangar zum Abschuss in Richtung Westen bereithielt. Ob tatsächlich jemals Sprengköpfe hier waren ist umstritten – die Maschinen, Anweisungen und Ausschilderungen im Bunkerinneren aber belegen eindeutig die Funktion und Funktionsfähigkeit der Anlage. So deutlich und genau, als ob die Rote Armee gerade erst gegangen wäre und als ob die Anlage jederzeit zur Erfüllung ihres Zweckes eingesetzt werden könnte.

Eingang zu einem der beiden Bunker. Foto: Wojtek Grela

Eingang zu einem der beiden Bunker. Foto: Wojtek Grela

Bevor wir den Bunker erreichen, führt die Straße zum Gefängnis, das die Insassen im offenen Vollzug hält. Errichtet wurde das Gefängnis am Ort der ehemaligen Baracken der sowjetischen Soldaten, die bis 1993 die Bunkeranlage in Bereitschaft hielten. Der Gefängnisverwaltung wurde die Aufsicht über die Bunkeranlage übertragen, die seitdem verschlossen und nur mit Führung durch den Gefängnisdirektor zu besichtigen ist.

Der Angestellte des Gefängnis, der uns das Areal zeigen wird, führt uns zunächst zu einem unter einer Geländererhöhung versteckten Hangar, in dem die mobile Abschussrampe für die Atomwaffen stationiert war.

Lagerplatz für die Sprengköpfe im Hangar. Foto: Wojtek Grela

Lagerplatz für die Sprengköpfe im Hangar. Foto: Wojtek Grela

Der Bunker war geheim und extrem gut gesichert. Rings um die Anlage finden sich genetisch modifizierte Pflanzen, die bei Hautkontakt schwere Verätzungen herbeiführen. Das Gebiet ist durchzogen von Gräben, die es den Soldaten ermöglichten, sich zwischen den einzelnen Anlagenteilen ungesehen zu bewegen. Links und rechts der Gräben war das Gebiet bis zum Rückzug des Militärs vermint. Da eine Beleuchtung des Geländes die absolute Geheimhaltung der Anlage konterkariert hätte, wurden stattdessen die Bäume entlang der Gräben mit fluoreszierender Farbe bestrichen, um zu verhindern, dass die Soldaten versehentlich ins Minenfeld gerieten.

Der Gefängnisangestellte führt uns in einen Bunker, in dem die Sprengköpfe gelagert wurden. Die Anlage ist nahezu vollständig intakt – die Stromversorgung funktioniert noch und die Verkablung ist, auf Russisch, beschriftet.

Jeder Schritt durch das Areal macht die Gegensätzlichkeit zwischen den beiden Orten Stalag und Bunker deutlich. Im Gegensatz zum Kriegsgefangenenlager, dem Ort individuellen Gedenkens, stellt sich das verbindende Thema Krieg im Atomwaffenbunker als technische Abstraktion dar. An diesem Ort tritt an die Stelle des menschlichen Erlebens der Soldaten, die zugleich Täter und Opfer sind, die technische Komponente eines geplanten Massenmordes an hunderttausenden Zivilisten. Die Stille an diesem Ort des noch nicht vollzogenen Krieges, an diesem Ort der Kriegsplanung, ist nicht friedlich, sie ist kalt und feucht, sie ist bedrohlich. Im Gegensatz zum Stalag Luft wurde hier die Aufarbeitung der Geschichte noch nicht geleistet, die den Bunker zu einem historischen Ort, seine Funktion zur historischen Funktion werden lassen und damit die Vorbereitung von Kriegen als Mahnmal, aber auch als überwundene Vergangenheit zeigen wird. Einen Schritt dazu hat der Workshop getan, in dem die Teilnehmer den Weg zum ersten Mal real und räumlich im Wald gesucht haben und gegangen sind.

Zum Umgang mit dem Gebiet

Die Exploration des Gebietes hinterlässt aber auch eine gewisse Ratlosigkeit über den angemessenen Umgang mit diesem historischen Erbe. Am auf die Exploration folgenden Brainstorming-Tag zeigten sich kulturelle und interdisziplinäre stark unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen. An Fragen nach Tourismuskonzepten scheiden sich grundsätzlich die Geister.

Die zentrale Zielsetzung, die von der Gruppe erarbeitet wurde, kann unter dem Slogan „Set the territory free!“ zusammengefasst werden: Das Gebiet hat seine militärische Funktion verloren, doch die Traumata der Vergangenheit lasten immer noch auf ihm. Ein erster Schritt könnten landschaftsarchitektonische Installationen sein, die im Gebiet verteilt dem Besucher einen ersten Zugang zum Gebiet ermöglich könnten, ohne die Spuren der Vergangenheit zu negieren. Da der Workshop nur einer ersten Annäherung an das Thema zum Ziel hatte, wurden diese ersten Visionen nur skizzenhaft entworfen. Denn es müssen noch sehr viele Fragen gestellt werden.

Beispielsweise die nach den Betroffenen und den Adressaten der Relikte: Wessen Erbe ist dieses Erbe? Welche Verbindung haben die Einwohner der Region zu diesen Orten? Zweifelsohne handelt es sich um ein negativ besetztes Erbe, das schmerzvolle Erfahrungen aus Krieg, Gefangenschaft und Unterdrückung zeigt. Es ist ein russisches, deutsches, amerikanisches und britisches Erbe, das sich auf polnischem Boden befindet und damit auch zum polnischen Erbe wird. Denn genau dies erzählt sehr viel über die Bedeutung Polens und insbesondere Pommerns als eine strategische Landschaft über Vorbereitung, Durchführung und Folgen von Krieg. Es handelt sich um ein europäisches Erbe, das aber schwer anzunehmen ist. Vielleicht kann das in Zukunft gelingen.

Die Klammer bildet die nicht vollendete Reichsautobahn Berlinka – die Verbindung zwischen Deutschland, Polen und Russland ist noch nicht geschaffen, aber in Ansätzen vorhanden. Daran arbeitet auch das Projekt:

Am 6. Juni 2010 wurden die ersten Ergebnisse des angestoßenen Prozesses an der Politechnika Koszalín vor einem interessierten Fachpublikum präsentiert. Die Besucher bestätigten den Workshop-Teilnehmenden, dass das Gebiet einer stärkeren Aufmerksamkeit und Reflexion bedarf. Offenkundig, und von den Zuhörern auch kritisch angemerkt, sind die vielfachen ethischen und kulturellen Probleme, die mit dem Erbe verbunden sind. Sich diesen Fragen zu widmen war das hervorstechende Ergebnis des Workshops: Als geographischer Mittelpunkt der Berlinka könnte der Ort eine Stätte des Austausches zwischen jungen Menschen der ehemals verfeindeten Nationen Russland, Polen und Deutschland werden.

Es wurde daher die Idee geboren, die Geschichte des Gebiets in Form einer dreisprachigen Wanderausstellung aufzuarbeiten und in Kaliningrad, Koszalín und Berlin zu präsentieren. Auf polnischer Seite wurden seit Ende des Workshops bereits intensiv Kontakte nach Kaliningrad geknüpft und das Projekt vor Ort vorgestellt. Zudem wurde die Exploration des Gebiets auf die Spuren der Autobahnplanung erweitert.

Die Arbeit an einem Ausstellungskonzept soll in Kürze begonnen werden. Urbanophil wird über den Fortgang des Projekts berichten, demnächst erscheinen auf der urbanophil-Seite ein kurzer Film von Linda Lichtenstein (urbanophil) und weitere Fotos.

Dieser Artikel wurde verfasst von Lukas Foljanty und Verena Pfeiffer.