Screenshot zum Online-Dialog (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt / Zebralog)

Screenshot zum Online-Dialog (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt / Zebralog GmbH & Co. KG)

Die Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hat die BerlinerInnen zur Diskussion über die Geräusche der Stadt eingeladen. Auf der Internetseite leises.berlin.de konnten sie Anfang 2013 vier Wochen lang ihre Erfahrungen über zu laute Straßen oder Flugrouten mitteilen. Einerseits finde ich die Methodik dieses partizipativen Verfahrens einen Fortschritt für die Berliner Beteiligungskultur, anderseits bezweifle ich die tatsächliche Durchschlagskraft der Ergebnisse in der Umsetzung.

Meine Wohnung ist ein traditioneller Altbau. Vor ein paar Wochen stellte leider das Fenster der inneren Balkontür seinen Dienst ein und dekorierte unseren Boden mit unzähligen Glasstückchen. Für die Reparatur wurde die Tür komplett entfernt. Der Raum war kälter als vorher, der größte Unterschied war jedoch zu hören: Berlins omnipräsenter Schall des Verkehrs.

Als ich den taz-Artikel “Wo darf’s noch etwas leiser sein?” (27.01.2013) durchlas, wurde mir der Umfang des Problems bewusst. Der Artikel lieferte jedoch die Lösung gleich mit: Ein leiseres Berlin für die BürgerInnen, in Zusammenarbeit und Austausch mit Ihnen. Unter dem Titel „Berlin wird leiser: aktiv gegen Verkehrslärm“ aktualisiert der Berliner Senat derzeit seinen Lärmaktionsplan und in diesem Rahmen konnten auf der Internetseite leises.berlin.de vier Wochen lang alle BerlinerInnen Vorschläge und Kommentare zum Berliner Verkehrslärm abgeben. Diese können weiterhin auf der Website eingesehen werden,  sowohl über eine Liste, als auch georeferenziert über eine Karte (s. Screenshot). Das Verfahren wurde von den BerlinerInnen gut angenommen: Fast 3.000 Vorschläge wurden gemacht, gut 2.000 Kommentare und fast 10.000 Bewertungen von Vorschlägen wurden abgegeben.

Ich möchte meine ehrliche Faszination für dieses Beteiligungsprojekt aussprechen. Meiner Meinung nach stellt es jedoch eine Antithese zur lärmenden Realität des Berliner Verkehrs dar. Deshalb frage ich mich: Kann ein solches Projekt tatsächlich dazu beitragen die Lärmbelästigung einzudämmen und die Grundlage für ein gesünderes körperliches Wohlbefinden bilden? Weniger Dezibel bedeuten mehr Nachtschlaf, mehr Energie, mehr Gesundheit. Mit der Bürgerbeteiligung – die durch die EU vorgeschrieben ist – bietet die Berliner Senatsverwaltung ihren BürgerInnen eine Diskussionsplattform, auf der diese ihre verschiedenen Meinungen öffentlich und transparent äußern können. Durch solche digitalen Beteiligungsverfahren können nicht nur die dominanten Stimmen der Gesellschaft eine Öffentlichkeit finden, sondern – sogar in anonymer Form – auch die, die normalerweise ihre Stimme nicht öffentlich erheben möchten oder zu wenig Zeit dafür haben. Entscheidend bei Beteiligungsverfahren ist jedoch auch die Umsetzung und inhaltliche Berücksichtigung der gemachten Vorschläge, eine positive Rückkopplung des Engagements.

Ein transparentes Verfahren mit verschiedenen Beteiligungselementen ist deshalb wichtig. Parallel zum laufenden Online-Dialog wurden die BürgerInnen deshalb zu zwei Lärmwerkstätten in den Bezirken Spandau (12.02.13) und Lichtenberg (13.02.13) eingeladen. Seit dem 22. Februar 2013 evaluiert der Senat die Vorschläge. Die Verfasser der 20 dringlichsten Beiträge, die sogenannte Topliste, werden zu einem Lärm-Fachworkshop eingeladen. Das verspricht einen guten und seriösen Diskussionsabschluss. Seit Anfang März wird der Entwurf des neuen Lärmaktionsplans erarbeitet und anschließend öffentlich ausgelegt. Der Beschluss des neuen Plans ist für Herbst 2013 vorgesehen (Link zum geplanten Ablauf).

Mit der intuitiven Online-Diskussion leises.berlin.de tritt Berlin in die Fußstapfen der Stadt Bremen und dessen Online-Beteiligung zum Stadtentwicklungsplan Verkehr 2020/2025: Bremen bewegen. Unter den Schlagwörtern „Ihr Wissen, Ihre Ideen. Entwerfen Sie mit uns den Bremer Verkehrsentwicklungsplan“ sowie „Ein Dialog in vier Runden“ werden die Bremer BürgerInnen sowohl digital als auch analog zur Mitwirkung aufgefordert. In den letzten zwei Runden im Herbst 2013 und Anfang 2014 können die Bremer BürgerInnen die konkreten Bewertungen und Vorschläge des Senats diskutieren.

Screenshot von Bremen bewegen (Bremer Senatsverwaltung für Umwelt, Bau und Verkehr / Nexthamburg Plus UG)

Screenshot von Bremen bewegen (Bremer Senatsverwaltung für Umwelt, Bau und Verkehr / Nexthamburg Plus UG)

Beide Projekte sind positive Beispiele für eine innovative und transparente Bürgerbeteiligung zum Thema Verkehr. Alles spricht für eine erfolgreiche Bürgerbeteiligungskultur. Beteiligung bedeutet aber nicht nur Gespräche, sondern auch aktives Mitmachen in der Stadt. Laut Staatssekretär Christian Gaebler soll leises.berlin.de auch das Verkehrsbewusstsein sowie eine Kultur der Rücksicht in Berlin entwickeln: Aus Eigeninitiative sollen die BerlinerInnen leisere Beförderungen wählen, z.B. den öffentlichen Verkehr oder das Fahrrad, um die Stadt leiser zu machen. Als Kopenhagenerin begrüße ich die Idee und erhoffe eine größere Fahrradkultur, verhalte mich aber skeptisch zu der Idee der Eigeninitiative: In Berlin fehlen vielfach attraktive Radverkehrs-Alternativen zum Autoverkehr für breite Bevölkerungsschichten.

Als Beispiel für meine Kritik möchte ich auf die Veranstaltung „Stadt Wert Schätzen: Stadt und Mobilität. Eine Stadt fährt Rad“ eingehen. Diese wurde von der plattformnachwuchsarchitekten am Tempelhofer Feld (23.08.2012) veranstaltet. Staatssekretär Christian Gaebler war dort Diskutant auf dem Podium und sagte, dass intensiv daran gearbeitet werde um die Anzahl der RadfahrerInnen in Berlin steigen zu lassen. Getrennte Infrastrukturen für Auto-, Fahrrad- und Fußverkehr (Typisch für die „copenhagenized“-Fahrradkultur) wurden jedoch kritisch beurteilt. Stattdessen präferiert Gaebler (und der Berliner Senat) andere, nämlich billigere Lösungen: Fahrradspuren und Angebotsstreifen auf der Straße. Diese sind zwar – wie mittlerweile bekannt ist – aufgrund der höheren Sichtbarkeit des Radverkehrs deutlich sicherer, als die meisten deutschen baulichen Radwege, jedoch ist diese Infrastruktur nicht unbedingt für unerfahrene oder unsichere Radfahrer geeignet, eben nicht für die breiten Massen. Als Kopenhagenerin halte ich Radwege für selbstverständlich, auf denen auch Kinder und alte Menschen ohne Sorge fahren können. Auf den Berliner Angebotsstreifen und Fahrradspuren ist das viel zu häufig nicht möglich, weil diese regelmäßig zugeparkt sind und Autofahrer zu nah oder schnell überholen und beim Abbiegen regelmäßig das Recht des Stärkeren durchsetzen.

Kopenhagen meint es ernst mit der Radverkehrs-Förderung (Foto: urbanophil)

Kopenhagen meint es ernst mit der Radverkehrs-Förderung (Foto: urbanophil)

Ohne die parallele Entwicklung wirklicher und attraktiver Verkehrsalternativen zum Auto gibt es aber Nachteile: Wenn die Rad- und ÖPNV-Fahrer immer wieder schlechtere Umstände haben als Autofahrer wird es keine substantielle Verbesserung zu nachhaltigeren (weniger lärmintensiven) Verkehrsformen geben. Der Effekt der Eigeninitiative verebbt oder erreicht nur die Gruppe der ohnehin schon überzeugten Multimodalen und Metromobilen. Die Raser, die nachts die Straßen als illegale Rennstrecken benutzen (ein Beispiel aus dem oben genannten Taz-Artikel), springen vermutlich nicht als erste auf das Fahrrad. Das sehen zum Glück mittlerweile auch viele Berliner Kritiker so. Im Artikel „Ein Masterplan für Berlins Radwege muss her“ (Berliner Morgenpost vom 03.02.13) plädiert zum Beispiel Hajo Schumacher (auch bekannt als Achim Achilles) mit Verweis auf das Vorbild Kopenhagen für deutlich mehr Courage des Berliner Senats um endlich die Situation des Berliner Radverkehrs (und somit auch des Berliner Verkehrslärms) substantiell zu verbessern.

In Berlin wird Radverkehr mal gut, mal weniger gut geplant (wie hier am Rosenthaler Platz) (Foto: urbanophil)

In Berlin wird Radverkehr mal gut, mal weniger gut geplant (wie hier am Rosenthaler Platz) (Foto: urbanophil)

Seit an Seit mit dem LKW: Leider viel zu häufig der Fall beim Fahrradfahren in Berlin (Foto: urbanophil)

Seit an Seit mit dem LKW: Leider viel zu häufig der Fall beim Fahrradfahren in Berlin (Foto: urbanophil)

Auch in der Weiterentwicklung des Lärmaktionsplans entscheidet sich, ob der Berliner Senat (weiterhin) die Rechte der Autofahrer höher gewichtet, als die aller anderen VerkehrsteilnehmerInnen und BürgerInnen oder ob es einen wirklichen Wandel in der Mobilitätskultur geben wird.

Wir haben unsere Balkontür wiederbekommen und der Lärm der Straße ist somit verstummt. Ich bin mir der Bedeutung von “Berlin wird leiser” bewusst und habe mich gerne beteiligt. Auch in der Hoffnung, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt mit dieser modernen Methode der Bürgerbeteiligung weiter arbeitet. Gleichzeitig hoffe ich, dass Berlin den Weg zu einer neuen Mobilitätskultur konsequenter beschreitet als bisher. Wenn ein Bürgerbeteiligungsverfahren ein Erfolg sein soll, ist es von großer Bedeutung die Einflüsse des Bürgers auch zu berücksichtigen.

Über die Autorin: Sofie Krogh Christensen; Kopenhagenerin wohnhaft in Berlin; Studium der Literaturwissenschaften und Architekturgeschichte an der Universität in Kopenhagen und TU Berlin 2009-2012; beschäftigt sich mit Themen wie Architekturvermittlung, aber auch Beteiligungskultur. Sie schreibt seit November letzten Jahres auf ihrem eigenen Blog URBANTEKSTUR. Als Kopenhagenerin sieht sie den Zustand des Berliner Radverkehrs eher kritisch und hält auch die aktuellen Entwicklungen und Verbesserungsmaßnahmen für bei Weitem nicht ausreichend.