Ein ausführliches Interview mit dem Mobilitätsforscher Prof. Dr. Andreas Knie (mehr Infos, s. u.) über die Zukunft urbaner Mobilität. Im Gespräch geht es u. a. um die Themen Carsharing, Fahrradverleihsysteme, Radverkehr sowie bevorstehende Veränderungen im städtischen Verkehr in den nächsten Jahren und welchen Einfluss Paris darauf hat. Knie kritisiert u. a. das Verkehrsministerium, wo es durch den Regierungswechsel im vergangenen Herbst einen “katastrophalen” Einbruch bei den nationalen Aktivitäten im Bereich Radverkehr gegeben hat. Zugleich bemängelt er, dass es in diesem Bereich kaum aktive und einflussreiche Lobbyarbeit gibt.

Foto: Georg Kumpfmüller

Welche Veränderungen wird es Ihrer Meinung nach mittel- bis langfristig im urbanen Verkehr geben?

Verbrennungsfahrzeuge gehören nicht in die Stadt, vor allem nicht, wenn sie umsonst abgestellt werden dürfen. Durch den Winter hat man ja gut gesehen, wie hoch die Mobilität ist, alleine in meinem Kiez wird die Hälfte der Fahrzeuge fast nie bewegt, aber es kostet ja auch nichts sie monatelang einfach abzustellen. Man hat dort 4 – 5qm schönste Stadt, vollkommen umsonst, das kann so nicht gehen. Allein mit einer Anwohnerplakette von 40 EUR sähe die Sache schon ganz anders aus und wir hätten eine andere Mobilitätskultur. Sogar beim ADAC tut sich da mittlerweile was. Man darf das aber nicht als Restriktion verkaufen, sondern als Chance. Man muss den Leuten auch erklären, dass andere Dinge möglich sind, so könnte die Anwohnerplakette auch als ÖV-Ticket dienen. Man muss erklären: „Ihr dürft DAS nicht mehr, aber DAS dürft ihr.“ Das muss man in einer zeitgemäßen Form vorstellen. Die Menschen wissen ja, das verbrennungsbetriebene Fahrzeuge nicht mehr zeitgemäß sind. Der Druck wird jetzt stärker, Köln hat ja bereits eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung, in Berlin ist der Druck nicht ganz so groß, in München und Hamburg dagegen schon. Eine Innenstadtmaut ist meiner Ansicht nach einen Schritt zu weit. In London war das akzeptabel, weil es so hohe Emissionswerte gab. Für Deutschland ist das aber schwierig, da sollte man eher auf Parkraumbewirtschaftung gehen, das ist plausibler und deshalb eleganter.

Als eine Alternative zum privaten Autobesitz gibt es seit Jahren Carsharing, ein Bereich, in dem auch die Deutsche Bahn als Anbieter aktiv ist. Kürzlich hat das Projekt Car2Go in Ulm mit einem über die gesamte Stadt verteilten dezentralen Netz von Autos für Schlagzeilen gesorgt. Wie sieht denn die Strategie der DB mittel- bis langfristig in diesem Bereich aus?

Car2Go ist ja eine Kopie von Call a Bike und dort sind wir ja bereits an der Spitze der Bewegung. Das Auto wird da nun auch langsam hingeführt. Andererseits gilt das in Hamburg eingeführte stationsbasierte Fahrradverleihsystem StadtRAD Hamburg auch als fortschrittlich, daher weiß man im Moment einfach nicht genau, in welche Richtung das weitergehen wird. In Ulm funktioniert das gerade ganz gut, wobei man auch dazu sagen muss, dass die Hälfte der Autoflotte dort als Daimler-Werksflotte genutzt wird. Das ist eine sehr schlaue und intelligente Einführung des Projektes gewesen und wir sind sehr froh, das Daimler diese Initiative gestartet und unterstützt hat. Ob das aber so auch in einer flächigen Stadt funktioniert, wenn die Verfügbarkeit nicht so garantiert werden kann, das ist noch nicht bekannt. Deshalb sind wir im Moment noch am zögern, aber wir denken in die Richtung natürlich nach. Berlin, Frankfurt, Hamburg, München und Stuttgart sind da interessante Städte. Wir sind sehr intensiv dabei, das auf Basis der Elektrotraktion zu machen. In Zukunft muss ja allein schon aus Effizienzgründen alles auf elektrische Autos umgestellt werden. Das elektrische Auto kann natürlich nicht überall hinfahren, was wir aber gut finden. Das Auto verliert dadurch endlich seinen autistischen Charakter alles machen zu dürfen. Mit einem elektrischen Auto können sie alles im lokalen Bereich tun, aber eben nicht mal schnell nach HH fahren, das machen sie dann mit der Bahn. Deshalb ist das für uns ein ganz, ganz wichtiges Betätigungsfeld. Auf der Basis des Elektroautos sind wir dann ganz schnell wieder bei denselben Fragen wie bei einem Fahrradverleihsystem, denn die drei Eigenschaften, die sie brauchen, um eine moderne Stadtflotte zu betreiben sind One-way-Fähigkeit, Open End und Instant Access.

Wie schätzen Sie den zeitlichen Horizont dieser Entwicklungen ein?

Das kann man nicht wirklich sagen, das hängt von so vielen Umständen ab, z.B. was Paris jetzt macht oder wie sich die liberal-konservative Regierung in London mit dem konservativen Bürgermeister einigen wird. Das Ausland bringt hier sehr viel Impulse und eine notwendige Treiberfunktion mit rein. Ich hoffe, dass wir da in den nächsten Jahren große Fortschritte machen können. Hier sind die Entscheidungsträger häufig zögerlich, so ist z.B. der Wettbewerb des BMVBS im vergangenen Jahr zu den Öffentlichen Leihfahrrädern eine direkte Folge zu der Entwicklung von Velib´in Paris seit 2007. Paris und vorher auch Lyon [die bereits 2005 ein Fahrradverleihsystem einführten] sind jedoch wiederum eine direkte Folge auf die Einführung von Call a Bike in München gewesen. Wir müssen hier also immer über Bande spielen. Paris hat sich sehr genau angeschaut, wie die Erfahrungen in München gewesen sind, das war das Vorbild für die Pariser Ausschreibung. Die Stadt Lyon haben wir praktisch einen ganzen Winter lang beraten, beim Aufbau ihres Systems und auch bei der Finanzierung und Struktur. Das haben wir sehr intensiv mit denen besprochen, die haben uns später auch eingeladen bei der Ausschreibung teilzunehmen, aber da hat in der Stadt, wo JCDecaux groß geworden ist, natürlich JCDecaux gewonnen, ebenso wie in Paris, wo große Ausschreibungen nur von Franzosen gewonnen werden. Die französische Fahrradvermietungsoffensive ist eine direkte Folge der Aktivitäten der Deutschen Bahn Anfang der 2000er Jahre in München gewesen. Mittlerweile setzt jedoch Paris die Maßstäbe bei moderner urbaner Mobilität. Wie brutal die dort Verkehrsfläche umdefinieren, das ist schon sehr beeindruckend. Allerdings interessieren die sich dort nicht unbedingt für Fahrräder, sondern mehr für umsetzungsfähige Politik.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Radverkehrs in den letzten Jahren in den verschiedenen deutschen Großstädten?

München ist eine sehr dynamische Stadt. In der Klasse der Millionenstädte ist München auf jeden Fall noch vor Berlin. Berlin hat zumindest in den letzten Jahren stark aufgeholt. Weit vor Hamburg, wo aber die Einführung des Fahrradverleihsystems StadtRAD einen ähnlichen Effekt gehabt hat wie in Lyon, weil da vorher kaum jemand Fahrrad gefahren ist.

Hat sich an der Ausrichtung der Bundesregierung zum Thema Radverkehr seit der Wahl etwas verändert?

Programmatisch haben wir keinen Bruch erlebt, faktisch einen tiefen. Das Referat für Radverkehr wurde aufgelöst und dem Referat für ÖV angegliedert, was prinzipiell die richtige Entscheidung ist. Ich bin daher sehr gespannt, wie es weitergehen wird und wie man sich dort zukünftig positionieren wird. Die große Koalition hat bis zum September 2009 eine erstaunlich große Anzahl an Fahrrad-„Enabling“ gemacht und vor allen Dingen – und das ist wirklich hoch anzurechnen – hat sie die kulturellen Beteiligten erweitert, die zum Thema Rad etwas sagen sollen. Und jetzt im Moment ist ein totaler Fadenriss eingetreten, die derzeitige Lage ist katasthrophal. Man sollte den Leuten aber auch eine Chance und die Zeit geben, dass dort was passiert. Alle sind sehr bemüht, auch Herr Ramsauer will das Thema besetzen, eine programmatische Grundlinie ist also da, aber wir sehen im Moment, dass auf der Referatsebene noch nicht die entsprechenden Nachbearbeitungen stattfinden. Deshalb muss man da bald kritisch rangehen. Ein Problem ist hier auch, dass die Zivilgesellschaft im Bereich Radverkehr ganz schlecht organisiert ist und keinerlei Lobbyarbeit stattfindet.

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen müssten oder könnten geschaffen werden, um den Radverkehr noch weiter zu fördern?

Die entsprechenden öffentlichen Räume müssen bereitgestellt werden. Das Fahrrad muss auf die Straße, da gehört es hin. Die Menge der Rad fahrenden Menschen kann nur dann sinnvoll unterstützt werden, wenn die Radfahrer auch einen Teil der Straße bekommen.

Fahrradverleihsysteme haben ja in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Nachdem die Deutsche Bahn zunächst mit Call a Bike ein (bis auf Stuttgart) flexibles System angeboten hat, deuten der erfolgreiche Verlauf des stationenbasierten Systems in Hamburg und nun auch das derzeit laufende Testprojekt StadtRAD Berlin darauf hin, dass die Entwicklung hin zu stationenbasierten Systemen läuft. Wie beeinflusst dies die Ausrichtung von Call a Bike?

Grundsätzlich wollen wir ja das Eigentum an Verkehrsmitteln möglichst minimieren, wir wollen „Nutzen statt Besitzen“ organisieren, so das die Leute gar kein Eigentum haben, weder beim Auto noch beim Rad. Auch mit dem Rad ist das nicht unproblematisch, weil alle ihr Rad mitschleppen wollen und wenn es regnet schleppen alle ihre Räder mit in die S-Bahn und dann gibt es ein Problem. Deshalb sind angemessene Mietradangebote sinnvoll, sowohl für die Bahn, als auch für die Stadtbewohner. Dort gibt es grundsätzlich zwei Philosophien, entweder das Call a Bike flex, wo das Rad an jeder Ecke steht und auch wieder abgegeben werden kann. Für diese Philosophie braucht man aber unglaublich viele Räder und moderne Ortungstechnik, die wir damals bei der Einführung noch nicht hatten. Deshalb haben Städte wie Stuttgart als erstes und Hamburg als zweites gesagt, dass sie Stationen haben wollen, die möglichst dicht stehen, um „die Verfügbarkeit im Kopf“ und die Planbarkeit der Wegekette für den Kunden zu erhöhen. In Hamburg zeigt sich nun, dass das sehr gut klappt, die dortige Entwicklung ist ein großer Erfolg. Allerdings wurde dieser Erfolg auch mit einem Nachteil erkauft, denn das stationenbasierte System ist unglaublich teuer. Jetzt müssen wir überlegen, wie wir das Angebot kontinuierlich weiterentwickeln können. In Hamburg war das stationenbasierte System gewünscht, aber es ist fraglich, ob sie das noch einmal so entscheiden würden. Mittlerweile gibt es durch das iphone viel bessere Möglichkeiten die Verfügbarkeit eines Rads zu überprüfen, jeder hat ein GPS-Gerät dabei und mit den neu entwickelten Apps ist es möglich, die Räder nicht nur zu lokalisieren, sondern auch auszuleihen und wieder abzugeben.

Wie wird denn die zukünftige Namensgebung der DB-Fahrradverleihangebote sein?

Wir sind dabei, die lokalen Identitäten stärker zu berückstichtigen. Das war in HH sehr wichtig, wo ein deutscher Name mit lokalem Bezug gewünscht war. Jetzt haben wir überlegt, jetzt machen wir eine Familie daraus, StadtRAD HH, StadtRAD Berlin und da können auch gerne noch weitere StadtRäder hinzukommen. Das System ist aber im Kern immer ein Fahrradverleihsystem auf einer einheitlichen technischen Plattform, wo auch – da legen wir besonderen Wert drauf – die Kunden gegenseitig freigeschaltet werden. Es gibt keine exklusiven Inseln, die Interoperabilität der Systeme ist für uns die sine quadro. Das heißt, es ist egal, wo man sich angemeldet hat und man kann automatisch in den verschiedenen Orten fahren.

Das Ziel des BMVBS-Wettbewerb zu Öffentlichen Leihfahrrädern im vergangenen Jahr war ja, die Integration von Fahrradverleihsystemen in den traditionellen Öffentlichen Verkehr voranzutreiben. Gibt es denn bereits Beispiele für Verkehrsverbünde oder Verkehrsunternehmen, die diesem Bestreben positiv gegenüberstehen?

Der Haupttreiber dieser Entwicklung ist ganz eindeutig die Deutsche Bahn, wo man ihr mal ein Kompliment machen muss. Die Mainzer Verkehrsbetriebe sind die zweiten, die dieses Thema für sich entdeckt haben. Die haben vor allem auch das Thema der Finanzierung super einfach gelöst, indem sie die Kosten für das Semesterticket um 2 EUR erhöht haben. Damit wird das Projekt jetzt finanziert, genau so muss man das machen. Dann gibt es die großen Verbünde, wie den VBB oder den RMV, die stehen dem Ganzen schon positiv gegenüber, aber es gibt keinen, der die Richtung vorgibt und die Entwicklung vorantreibt. Das eigentlich große Problem an der Thematik ist die unübersichtliche Governance-Struktur beim ÖV, denn die eigentlich Wichtigen sind ja die Verkehrsunternehmen. Die müssen das treiben. In Berlin gibt es die BVG oder die S-Bahn, die sind da durchaus interessiert, aber die müssen auch über die Verbünde und der bestehende Topf an Geldern ist ausgereizt, da kriegt man keine Mehreinnahmen mehr generiert. Deshalb müsste man das dann über Preiserhöhungen lösen und das muss man dann erstmal verkaufen. Ganz besonders skeptisch ist der süddeutsche Bereich, die wollen das gar nicht. Die Entwicklung bei Fahrradverleihangeboten ist aber mittlerweile soweit, dass sich keine größere Stadt – insbesondere keine Landeshauptstadt – mehr leisten kann, kein Fahrradverleihsystem zu haben. Allerdings gibt es einen großen konservativen Block beim Öffentlichen Verkehr, die keine Lust auf diese Entwicklung haben, weil die Bahn an die Aufteilung der Gelder für den ÖV ran möchte. Das wollen wir nämlich ganz klar, Leihfahrräder sind Teil des ÖV und müssen auch aus dem Topf des ÖV heraus finanziert werden, alles andere wird nicht funktionieren, insbesondere wenn man möchte, dass die ersten 30 min kostenlos sind.

Wie also werden Fahrradverleihsysteme zukünftig finanziert?

Die Bahn wird darüber reden, wie diese Systeme zukünftig betrieben werden können, jedenfalls nicht mehr für lau. Bestimmte Verkehrsangebote können nicht über die Nutzung finanziert werden, das ist einfach so. In Deutschland möchte man Fahrradverleihsysteme nicht der Werbeindustrie als Werbeformat überlassen, aus gutem Grund. Deshalb ist es wichtig, das Fahrrad als Teil des ÖV zu betrachten und auch zu finanzieren. Aber bei dieser Thematik sind wir noch mitten in der Debatte.

Was sind denn aus Ihrer Sicht die Gründe für die bisherige Entwicklung von StadtRAD Hamburg, die ja die Erwartungen bei weitem übertroffen hat?

Auf jeden Fall ist der große Bedarf da gewesen, endlich was zu machen in Hamburg. Lange Zeit ist dort das Thema Radverkehr nicht als Politikfeld entdeckt gewesen. Anscheinend hat die Stadt auf so ein System gewartet. Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) hat sich mächtig hinter das Projekt gestellt und das gut durchgezogen. Der politische Wille in Hamburg war sehr weit verbreitet. Für einen Betreibervertrag über zehn Jahre mit einer jährlichen Zahlung von einer Million pro Jahr, braucht es einen unglaublichen politischen Willen, so etwas tun zu wollen. Das ist die Grundvoraussetzung.

Und wie ist ihre Einschätzung zu der kostenfreien Nutzung von 30 Minuten bei solchen Systemen? Als „Einstiegsdroge“ wirkt das ja offenbar sehr gut.

Das muss irgendwann entschieden werden. Im Prinzip kommen wir da fast nicht mehr von weg. Die Deutsche Bahn ist ja eigenständiger Betreiber des Systems, von der Stadt Hamburg werden wir nur bei den Investitionen unterstützt. Alle Freiminuten sind für uns als Betreiber deshalb nicht so günstig. Dennoch sind wir auch mit dem wirtschaftlichen Erfolg sehr zufrieden. Ich bin überzeugt, dass man einen guten Kompromiss zwischen Nutzer- und Betreiberbedürfnissen finden kann. Im Zweifel sollte man aber den Nutzern stärker entgegen kommen, denn das große Ziel ist ja, dass die Leute vom MIV wegkommen.

Prof. Dr. Andreas Knie: Geschäftsführer Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel GmbH (InnoZ); Leiter der Projektgruppe Mobilität am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB); Bereichsleiter “Intermodale Dienste” bei der DB Rent GmbH.