Vor „Hermann Helmers Bäckerei und Konditorei“, einer beliebten „German Bakery“ an der Jhamsikhel Road im Expat-Viertel Sanepa, geht morgens nichts mehr. Menschen lassen ihre Autos kurz auf der Straße stehen, um sich ein Sandwich zu kaufen, Fahrer liefern die Kinder reicher Leute bei der benachbarten Montessori-Pre School ab und viel zu große Toyota-Jeeps der deutschen GIZ und von USaid zwängen sich auf der viel zu engen Straße zu ihren Büros. Busse der zahlreichen Privatschulen im Viertel versuchen die Kinder zum Unterricht zu bringen und zwischen die Autos quetschen sich Motorräder, bis keiner mehr vor und zurück kann.

Schulbus vor Hermann Helmers Bäckerei (Gebäude in der Bildmitte); Foto: Tobias Zeller


Stau auf der Jhamsikhel Road; Foto: Tobias Zeller

Wenn es nach der aktuellen maoistisch geführten Regierung geht, gehört dieses Bild bald und „for the next twenty years“ der Vergangenheit an. Sie ist derzeit dabei, eine 35 Jahre alte Bekanntmachung in die Tat umzusetzen. Am 4. Juli 1977 (!), Nepal war noch lange eine Monarchie, hat die damalige Regierung in ihrem Amtsblatt angekündigt, illegal auf öffentlichem Grund errichtete Mauern und Gebäude einzureißen, um Straßen und Kreuzungen zu erweitern.

570.000 Fahrzeuge gibt es im rund zwei Millionen Einwohner umfassenden Verdichtungsraum. Diese erzeugen täglich ein heilloses Verkehrschaos. Kann man nachts die fünf Kilometer von Kathmandu-Zentrum in den alten Kern der Zwillingsstadt Patan (Lalitpur) auf der anderen Seite des Bagmati-Flusses in weniger als sieben Minuten zurücklegen, braucht man am frühen Freitag Abend eine knappe Stunde. Mit dem Road Widening will die Regierung nun den Verkehr in der Stadt auch am Tag wieder zum Fließen bringen.

Erweitert werden sollen 400 km entlang, inner- und später außerhalb der Ringroad, die Kathmandu und Patan umschließt. Die Ringroad selbst soll auf 62 Meter verbreitert werden, Hauptverkehrsadern auf 22, Verbindungs- und Zubringerstraßen wie die Jhamsikhel Road in Patan auf bis zu 14 Meter. Gleichzeitig werden entlang der Flüsse und Bäche neue Verkehrswege gebaut und zusätzliche Brücken errichtet. Für den Öffentlichen Verkehr wurden in der letzten Zeit lediglich einige neue Bushaltestellen angelegt. Obwohl drei Viertel der Bevölkerung kein motorisiertes Fahrzeug besitzen, spielt der ÖV in den derzeitigen Planungen und Aktivitäten nur eine Nebenrolle. Zeitungskommentatoren, die auf den Zusammenhang zwischen Straßen- und Verkehrswachstum hinweisen, bleiben bislang ungehört.

Zur Straßenerweiterung werden nun seit Dezember 2011 Mauern und Baracken dem Erdboden gleichgemacht, Treppen von Häusern weggerissen und Vorgärten planiert. Auf den dahinter liegenden Eigentümer nehmen die Bagger keine Rücksicht. So wurden die Mauern der luxuriösen Hotels Everest, Shanker und Ambassador genauso Opfer der Baggerschaufel wie die Einfriedung des staatlichen Departments of Mines and Geology. Der Widerstand dagegen baut sich nur langsam auf: In einigen Straßen mussten die Arbeiten kurzfristig eingestellt werden, bis der Höchste Gerichtshof entschied, dass der Abriss illegaler Bauten rechtens ist und weitergehen darf. Vor dem Hotel Ambassador wurden die Bauarbeiter von Hotelmitarbeitern mit Steinen beworfen. Entschädigungen für die Land(rück)nahme werden bislang keine gezahlt, aber auf der anderen Seite auch keine Gebühren für den Abriss illegaler Bauten erhoben.

Manna Café mit gesprühter Abrissankündigung; Foto: Tobias Zeller

In der Jhamsikhel Road sind die Bagger noch nicht angerückt. Jedoch zeugen große, mit der Spraydose aufgebrachte Nummern auf den Mauern von baldigen Bauarbeiten. Sollen beim „Café Soma“ 1,95 Meter der Terrasse zu Straße werden, sind es beim „Manna Café“ 2,80 samt Wintergarten. Vom Biergarten des Restaurants „Station BBQ“ auf der anderen Straßenseite werden ebenfalls 1,95 abgeknappst. Bei „Hermann Helmers“, so das Gerücht in der Expat-Community, reicht der öffentliche Grund bis hinein in die Bäckerei und endet erst direkt vor der Theke. Sollten statt Mauern, Vorbauten und Baracken auch ganze Häuser weichen müssen, könnte die Backstube zum Drive In werden…

Motorräder vor Hermann Helmers Bäckerei (rechts im Bild gesprühte Abrissankündigung); Foto: Tobias Zeller

Das Bild der Viertels und der Stadt werden sich durch die Road-Widening-Maßnahmen mit Sicherheit verändern. Abzuwarten bleibt, ob tatsächlich breitere Straßen mit Gehwegen und Parkplätzen angelegt werden. Es wäre nicht unwahrscheinlich, dass nach der Abrissphase das Geld ausgeht oder die Regierung und ihre Prioriäten wechseln. Um aber Sicherheit zu garantieren, sollte der Verkehr vor (oder in) „Helmers Backstube“ tatsächlich einmal fließen, wurde ein anderes, 19 Jahre altes Gesetz nun in die Tat umgesetzt: Wer ab sofort ohne Gurt beim Autofahren erwischt wird, muss umgerechnet zwischen 2 und 10 Euro Strafe zahlen. Bei Neuwagenpreisen für einen Tata Nano, dem angeblich billigsten Auto der Welt, um 8.000 Euro (inklusive 200 Prozent Importsteuer) ist das für diejenigen Nepalis, die sich ein Auto leisten können, nicht viel Geld.

Jhamsikhel Road an einem autofreien Streiktag (Hermann Helmers im Hintergrund in der Bildmitte); Foto: Tobias Zeller

Der Autor:

Tobias Zeller, geboren 1977, Studium der Raumplanung in Dortmund, 2004-2007 Berater bei Sustain Consult GmbH, Dortmund, 2007-2009 Referent für Energie-, Umwelt- und Verkehrspolitik sowie Landesplanung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag, Wiesbaden, seit 2010 Entwicklungshelfer im Bereich Erneuerbare Energien in Patan, Nepal. Mitglied im Vorstand des 1. Kioskclub Museum am Ostwall (KCMO) e.V., Dortmund.