Teil 3: Armenien

Ein Beitrag von Gastautor Michael Wagener 

Kvartal, ein Stadtviertel von Yerevan,ArmenienQuelle: Michael Wagener

Kvartal, ein Stadtviertel von Yerevan,Armenien

Nachdem ich diesen beeindruckenden Mann einen Tag begleite, breche ich auch nach Armenien auf. Es ist November und ich möchte noch den recht warmen Herbst nutzen.

„Beethoven, Mozart, …“, alle fünf Minuten folgt ein weiterer deutscher Name und der Fahrer der Mashrutka versucht, mich mit seinem Deutschwissen zu beeindrucken, während sich der gasbetriebene Bus die Serpentinen von Tiflis nach Yerevan, der Hauptstadt von Armenien, schlängelt. Nach sechs Stunden holpriger Fahrt, vorbei an der Grenze zu Aserbaidschan, die mein Fahrer mit einem „Bum Bum“ kommentiert, sitze ich im International Center of Art (ICA) von Nazareth Karoyan. Diesmal trinke ich Wodka mit einer japanischen Video-Künstlerin und einer Schlafperformerin aus Österreich.

Nazareth Karoyan ist in Yerevan eine Hausmarke und versucht, mit seinem Artist in Residence Program Gegenwartskunst in Armenien zu etablieren. Die eher traditionell geprägte Kunstausbildung in der Hauptstadt Armeniens durch neue Perspektiven zu bereichern. An einem Küchentisch aus einer Fabrik der ehemaligen DDR trifft sich die künstlerische Avantgarde Armeniens mit internationalen Gastkünstler im ICA.

Nazareth Karoyan vor dem ICA, Yerevan, ArmenienQuelle: Michael Wagener

Nazareth Karoyan vor dem ICA, Yerevan, Armenien

Hier lerne ich auch Ed Tadevossian kennen, der mir sein Armenien zeigt. Der stadtbekannte Fotograf führt mich zur Kids Trainstation. Ein witziges Überbleibsel der Sowjets. Eine Eisenbahn für Kinder, die zum Treffpunkt für junge Verliebte geworden ist und Kulisse für Fotoshootings der modebewussten jungen Armenier. Wesentlich selbstbewusster als die Menschen in Georgien kommen mir die Armenier vor.

Die Kids-Trainstation ist beliebter Spot für Fotoshootings in YerevanQuelle: Michael Wagener

Die Kids-Trainstation ist beliebter Spot für Fotoshootings in Yerevan

Im frei zugänglichen Genozid-Museum erfährt man viel über die tragische Geschichte des Landes und es überrascht mich, wie stark auch das Naziregime Hitlers diesen Genozid gefördert hat. Ein kaum beachtetes Kapitel deutscher Geschichte.

Die meisten Touristentourprogramme preisen Armeniens Klöster an und die heiligen Denkmäler des ersten christliche Landes. Ich sitze lieber mit Ed im Wagen eines Freundes und lasse mir das Bjurakan-Observatorium zeigen. Am Fuße des Aragats steht das bis in die 80er Jahre hinein größte Spiegelteleskopareal. Als Geschenk Hitlers an Mussolini gedacht, findet sich auch ein Spiegelteleskop aus Deutschland. Erbeutet von den Sowjets, setzte sich der armenische Astrophysiker Viktor Hambarzumjan nach dem Zweiten Weltkrieg für diesen Standort ein. Im Jahre 2000 wurde dieser Wissenschaftler posthum vom Time Magazine zu einem der wichtigsten Wissenschaftler und Denker gewählt. Leider macht das Gelände nicht Eindruck eines bedeutenden wissenschaftlichen Ortes. Verfallene Werkstätten und kaputte Fassaden lassen kaum vermuten, dass noch in die Sterne geschaut wird.

Sternenwarte in Bjurakan, ArmenienQuelle: Michael Wagener

Sternenwarte in Bjurakan, Armenien

Unweit davon entfernt steht ein verlassenes Radioteleskop. Der Zutritt ist eigentlich untersagt, doch mit etwas Zureden und der Tatsache, dass ein deutscher Fotograf dabei ist, bekommen wir schließlich doch Zutritt. Eine eigenwillige Kulisse eröffnet sich, die unweigerlich an James Bond-Filme denken lässt.

An James erinnert auch das Verhalten des Playboys von Masif No. 1, einem Stadtteil. Yervans Randbezirke sind geprägt von grauen Betonklötzen. Während Ed und ich auf Fotojagd in diesen Vierteln sind, treffen wir auf Valeri. Der 72jährige drängt mich in seine kleine Dreizimmerwohnung, vollgestopft mit einer Sammlung von Pferde-Figuren. Er preist den selbtgebrannten Wodka an und berichtet voll Stolz von seiner jungen Liebe, deren Porträt er mir auf seinem Handy zeigt. „In meinem Alter, alles rein platonisch“, zwinkert er mir zu.

Aber interessieren diese kleinen zufälligen Begegnungen auf Reisen überhaupt? In einem Ratgeber zum Verfassen von Reiseberichten steht, fliegen sie nicht blind drauf los. Recherchieren Sie spannende Themen, gehen sie in die Tiefe.

 

Kloster Chor Virap vor dem heiligen Berg AragatQuelle: Michael Wagener

Kloster Chor Virap vor dem heiligen Berg Aragat

Mir reicht es, dem einfachen Leben zu begegnen, Wodka mit alten Männern zu trinken und mich treiben zu lassen. „Einfach“ bedeutet für mich dabei, das alltägliche Leben einer anderen Kultur zu erfahren. Mit der Befürchtung, dass kulturelle Eigenheiten mit der zunehmenden Globalisierung verschwinden werden. So stürze ich mich ohne Recherche in die Welt und sehe, dass die damit verbundene Offenheit zu Erfahrungen führt, die der Lonely Planet nicht vorhersagen kann.

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Damit endet der Reisebericht von Michael. Hier die Links zu Teil 1 und 2 seiner urbanoREISE:

Teil 1: Aserbaidschan

Teil 2: Georgien

Michael Wagener ist Dozent, Lehrer, Fotograf und am liebsten unterwegs. Seit 20 Jahren beschäftigt er sich mit Fotografie. Die Basis legte sein Kunststudium an der Universität Siegen und durch eine Assistenzzeit bei Simon Puschmann in Hamburg vertiefte er seine Kenntnisse in der kommerziellen Fotografie. Mehr erfährt man über ihn auf seiner Webseite.