Wir stecken mittendrin in einem Beteiligungspluralismus, der nicht nur viele mehr oder weniger brauchbare Beteiligungsformate produziert, sondern auch die Themen, über die Beteiligt werden soll, so weit herunterbricht, dass der übergeordnete (Gemein-)Sinn weder sichtbar noch spürbar wird. Anstatt dieser Tatsache mit einer Beteiligung zu begegnen, die von vorne herein weder thematisch, noch inhaltlich, noch räumlich begrenzt ist, ihren diesbezüglichen Zuschnitt erst im Feld findet, werden munter weiter Abgrenzungen geschaffen, die Beteiligende wie zu Beteiligende unnötig einengen und somit die Ergebnisse verzerren.

Dabei ist spätestens seit den Auseinandersetzungen um den Stuttgarter Bahnhof, das Hamburger Gängeviertel und dem Flugroutenstreit am Flughafen BBI klar, dass die Menschen im Land beteiligt werden wollen. Sie wollen mitreden, was ihre Lebensumwelt verändert, wie die Auswirkungen gestaltet werden sollen und in wie fern sie davon betroffen sein werden.

Menschen, die in lokalen Zusammenhängen leben, aber über Kontakte, das Internet, den globalen Handels- und Finanzmarkt, um nur einige Facetten zu nennen, quasi mit der gesamten Welt in Kontakt stehen und verbunden sind, können nicht ausschließlich auf einen planungsrelevanten Quadranten formatiert werden. Ebenso, wie deren Alltagspraxen, deren eigensinnige Strategien und Lösungen gegenüber sich bildenden Problemen in den gängigen Formaten bislang nicht oder nur kaum berücksichtigt worden sind.

Hierfür braucht es eine sensible Herangehensweise, die nach Möglichkeit schon im Vorfeld oder „Vorhof“ einer Beteiligung etabliert werden und die die alltägliche Lebenswelt sowie die Vernetzungen in- und ausserhalb des Planungs- bzw. Beteiligungsquadranten ebenso berücksichtigen muss, wie schon existierende, „eigensinnige“ Denkweisen und Lösungen.

Das Buch „Eigensinnige Geographien“ greift genau diesen Punkt heraus und bietet Ansätze zur Quadratur des Beteiligungskreises. Die Autoren richten ihren Blick vor allem auf nichtformalisierte Beteiligungsverfahren und arbeiten an einer Definition von Beteiligung in einem „neuen Kräftefeld zwischen Markt, Hierarchie und Staat.“

Was besonders positiv auffällt ist die Praktikabilität der Vorschläge, die nicht auf eine Revolution der gängigen Praktiken abzielt, sondern diese akzeptiert, jedoch versucht innerhalb geltender Regeln Spielräume zu finden und diese neu zu orientieren. Lösungen oder Innovationen, so die Autoren, müssen nicht zwingend neu produziert werden, sondern es reiche meist schon „ein paar Stellschrauben anders zu justieren.“ Diese Herangehensweise dürfte auch den Erfolg der vorgeschlagenen Denkweise ausmachen.

Ergänzend dazu werden neu aufkommende Felder, wie zum Beispiel e-Partizipation, e-Government, stadtbezogene Blogs etc. angesprochen, die durchaus etwas vertiefter hätten betrachtet werden können. Die Autoren erkennen, dass in diesen mittlerweile nicht mehr ganz neuen Prozessen eine Menge Potential steckt, allerdings, so scheint es manchmal durch, eher im Sinne der Akzeptanzschaffung gegenüber unliebsamen Maßnahmen. Das führt am Kern des Potentials von internet-basierten Verfahren vorbei und würde die sich bietenden Möglichkeiten diskreditieren.

Was anfänglich nicht klar herausgearbeitet wird, ist die Frage, wozu neben dem von Martina Löw etablierten Begriff der „Eigenlogik“ von Städten nun der Begriff des Eigensinns eingeführt werden soll. Hierfür bietet Martina Löw in einem von den Autoren geführten Interview selbst einen Ansatz, den man eher von den Autoren erwartet hätte.

Einen Gedanken von Martina Löw fand ich sehr Anregend: „Der Eigensinn von Städten und Quartieren – als konjunktive Erfahrungsräume gedacht – stellt sich in der alltäglichen Praxis her.“ Diese Bemerkung beschreibt die Herangehensweise der Autoren sehr gut. Das individuelle Handeln im Mikrokosmos Alltag wird im Kontext des Prozesses hin zu einer übergeordneten Sinngemeinschaft ausgelotet, womit, so meine ich, die komplexen zeitgenössischen Stadtstrukturen sehr treffend beschrieben werden. Jede Gemeinschaft an jedem möglichen Ort reagiert anders auf die lokalen Begebenheiten und Möglichkeiten.

Der Begriff der „Geographien“ eröffnet hier ein weites Feld, das zur Betrachtung von Eigensinnigkeiten auf unterschiedlichen Maßstabsebenen, was sich in den 10 vorgestellten Beispielen gut nachvollziehen lässt. Das Spektrum reicht von verschiedenen Möglichkeiten der Raumaneignung und Selbstverortung über migrantische Ökonomien, bis hin zur Kreativwirtschaft.

Alles in allem ist den Herausgebern ein sehr interessantes Buch gelungen, das viele unterschiedliche Bereiche des sich Beteiligens an raumwirksamen Prozessen, schon vor der Frage des Beteiligtwerdens anhand der Alltagspraxis streift. Mit den ausführlichen Beispielen bekommt die Theorie Plastizität und wird im Abschluss-Interview mit Trendforscher Holm Friebe anschaulich aus einem ganz anderen Blickwinkel diskutiert.

Eigensinnige Geographien
Städtische Raumaneignungen als Ausdruck gesellschaftlicher Teilhabe
Herausgegeben von Malte Bergmann und Bastian Lange
Mit Beiträgen von Malte Bergmann, Bastian Lange, Martina Löw, Erol Yildiz, Jana Schubert, Florian von Rosenberg, Angela Paul-Kohlhoff, Wilfried Kruse, Georgette-A. Ziegler, Birgit Wolter, Kristin Breitenbruch, Sebastian Olma, Klaus M. Schmals, Christa Müller, Holm Friebe

VS Verlag für Sozialwissenschaften
2011. 306 S. mit 4 Abb. Br.
ISBN: 978-3-531-17860-8
39,95
http://www.eigensinnige-geographien.de