VWS der Findling in der Rosa Röhre. Foto: Oper Dynamo WestQuelle: Oper Dynamo West

„…was mir bleibt, wenn mir nichts blieb“ steht mitunter zu Beginn des Stücks in Buchstaben aus Licht an einem schmalen, langen Streifen der Bühne der Oper Dynamo West. Von dem gestrigen Abend bleibt viel.

Nach dem Bahnhof Zoo, dem Europacenter und dem Bikinihaus am Breitscheidplatz sind es nun die Flachwasserrinne und ihr Beckenrand einige Stockwerke unter der Rosa Röhre, unter dem Zentrum der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau, die sinnlich in Szene gesetzt werden.

Die Oper Dynamo West inszeniert “VWS Der Findling”, eine Musiktheater-Performance nach Heinrich von Kleist und Heiner Müller in der “Rosa Röhre” im Tiergarten. Die Regisseurin Janina Janke, der audiovisuelle Komponist Maurice de Martin und die Autorin Kristin Schulz entwickelten die am Donnerstag uraufgeführte Neuinterpretation des Motivs vom Findling als Musiktheater.

In der Tradition der Oper kommt dem Gebäude, in diesem Fall der „Rosa Röhre“, dem Umlaufkanal der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau der TU Berlin, eine tragende Rolle im Stück zu. Es ist Austragungsort und Bühne, seine Bestandteile werden zu Requisiten und nehmen Requisiten auf – es zerfließen die Nutzung des Vorhandenen und die Drapierung von Fremden miteinander: Ist es im Versuchszentrum immer so chaotisch oder ist die Unordnung angeordnet?

Das Chaos hat einen Sinn, denn das Gebäude selbst übernimmt eine tragende Rolle im Stück – als Familienvater und Ehemann Piachi. Dieser muss den Tod seines Sohnes und seiner ersten Frau verschmerzen und sieht zugleich seine neue Familie untergehen. Daher sendet das Gebäude, dass er als Leiter der Versuchsanstalt für Wasser- und Schiffbau selbst geworden ist, Störsignale, funkt und dröhnt und macht so sich selbst und Piachi für den Zuschauer begeh- und erlebbar.

In ihm fließt Wasser, mal schnell, mal langsam, durch das und an dem die drei weiblichen Hauptfiguren Elvire, Xaviera und Constanza (wechselnd gespielt von Joanna Dudley, Agnieszka Dziubak, Mariel Jana Supka und Vanessa Gageos) in ihren pinkfarbenen Taucheranzügen, modischen Röcken und Stöckelschuhen schwimmen, schreiten, balancieren, vertikale und horizontale Symmetrien herstellen.

Im Zusammenspiel mit dem Raum entstehen Bilder einer geheimnisvollen Ruhe und von trauriger Anmut. In ihm entstehen Schwingungen, die durch Tuba (Mariel Jana Supka), Cello (Agnieszka Dziubak) und Posaune (Cyrill Lim) erzeugt werden.

Im fünften Stock der Versuchsanstalt, direkt auf der Rosa Röhre, wo im Stück Liebe, Freiheit und Geschäftigkeit herrschen, wird als Teil der Performance ein Herzschiff mit Eiswürfeln gefüttert.

Als Zuschauer darf man sich am Hauptspielort entlang der Flachwasserrinne im Erdgeschoss des Gebäudes bewegen, in den fünften Stock wird man in der Mitte des Stücks im Fahrstuhl hoch geleitet. Trotz dieser Schutzvorkehrungen vergisst man fast, dass man nicht im Theater, sondern in einer wissenschaftlich-technischen Einrichtung ist und nimmt als selbstverständlich an, was gar nicht einfach gewesen sein kann und wunderbar gelang: dass die Oper Dynamo West diesen Ort als Spielstätte entdeckt und gewidmet hat.

Die Bilder, Töne, Worte, Gesänge und Stimmungen des Stücks werden in den Räumen sicherlich noch ein wenig spürbar bleiben. Auch noch, wenn bald wieder die Geschäftigkeit des Alltags einkehrt und dann die Wissenschaftler hier so manche Walnuss knacken werden. Anschauen.

Weitere Termine: 21., 25., 27. August 2010, jeweils 20:00 Uhr

Ort: “Rosa Röhre”, Müller-Breslau-Straße, Charlottenburg

Eintritt: 15, ermäßigt 10 Euro

Aufgrund der begrenzten Zuschauerzahl von max. 50 Personen pro Aufführung wird eine Kartenreservierung unter tickets@operdynamowest.org empfohlen.