Lange galt das Postulat: Architekten kümmern sich um die Häuser und Objekte einer Stadt, Planer um die technischen und (soweit planbar) gesellschaftlichen Grundlagen und darum, dass die Stadt „funktioniert“. So schafften die einen Grundlagen, sahen Infrastrukturen vor, zonierten den Stadtkörper und sorgten auf einer übergeordneten Ebene dafür, dass das Leiden, wie es ein Stuttgarter Planer einmal in einem Kamingespräch sagte, möglichst gleichmäßig verteilt wird. Parallel tobten Architekten sich in Form von Objekten aus, die in dem vorgegebenen Rahmen möglichst viel künstlerisches Ego zu Tage brachten.

Zugegeben, ganz so drastisch ist es nicht, doch trotz aller Polemik, so ganz anders auch wieder nicht; Denn wie sollte sonst erklärbar sein, dass da, wo die Stadt an die Objekte heranreicht bzw. auf der anderen Seite die Objekte an die Stadt, Zwischenzonen entstehen die, wenn wir den rechtlichen Status außer Acht lassen, nicht eindeutig dem Öffentlichen oder dem Privaten zuzuschlagen sind? Diese Zwischenräume sind oftmals diffuse, gefühlte Räume, in denen sich vielfältige Ansprüche und Nutzungen vermischen, die teilweise absichtsvoll aneignend, oder aber sich auch durch kontinuierliche Nutzung sowie Andersnutzung Bereiche des Privaten im Öffentlichen Markieren.

Trotzdem Fragen wie „Wo beginnt die Wohnung?“ oder „Wo endet der private Gartenanteil?“ feuerpolizeilich oder baurechtlich geklärt sind, bleiben diese Fragen, wenn man sie von einem wahrnehmungsbetonten Standpunkt aus betrachtet, im Unklaren. Dies weist darauf hin, dass es neue Formate des Erlebens und neue Methoden der Erschließung benötigt. Denn so einfach, wie in der einführenden Polemik dargestellt, ist die Grenzziehung in der Praxis beileibe nicht: An vielen Orten existiert ein Dichtes Netz an räumlichen und sozialen Verflechtungen, das lediglich durch langes aufmerksames hinsehen, durch neugieriges Fragen und durch den Blick von ExpertInnen sichtbar wird.

Das Logo zeigt es wunderbar: Wovon reden wir, wenn wir vom Dazwischen reden?

Das Logo zeigt es wunderbar: Wovon reden wir, wenn wir vom Dazwischen reden?

Schon nachdem ich das Album “dazwischen – Von der Wohnungstüre zur Trottoirkante” das erste mal gelesen hatte, öffnete sich mein Blick für die Eigenheiten des Zwischenraums, der mich in ganz unterschiedlichen Konfigurationen seit jeher begleitet. Obwohl dieser Raum, ich benenne ihn hilfsweise mal mit Transitraum, einen wesentlichen Einfluss auf Gefühle wie Sicherheit und Geborgenheit hat, aber auch auf das Gefühl an einem Ort heimisch zu sein bzw. einen Platz zu haben, wird dieser sowohl von Seiten der Planung als auch der Architektur nicht ausreichend thematisiert. Ebenso, wie die Dimensionen, die in einer Gestaltung des Raumes stecken in den entsprechenden Studiengängen nicht ausreichend berücksichtigt werden.

Dieses wollen die HerausgeberInnen Claudia Cattaneo, Verena Huber, Anja Meyer und Roland Züger ändern und haben gemeinsam mit der Hochschule Luzern und dem Schweizerischen Werkbund (SWB) ein Projekt entwickelt, das mit unterschiedlichen Formaten auf eine “Promenade ins Dazwischen einlädt – von der Wohnungstüre zur Trottoirkante.” Mit Hilfe vielseitiger Erkundungstouren, an denen ausgewiesene ExpertInnen beteiligt waren, wurden die besonderen räumlichen Merkmale herausgearbeitet und deren Dimensionen erfahrbar gemacht.

Sicherlich ist es sehr schwer persönliche Erfahrungen zu vermitteln, denn so sehr man sich auch bemüht, Erfahrung ist immer subjektiv und abhängig von der Prägung der Erfahrenden. Insofern ist es eigentlich auch ein fragwürdiges Unterfangen, eine Dokumentation von persönlich erfahrenen Momenten anzufertigen und am Ende eine Handreichung zu produzieren, die Planenden und Gestaltenden zur Verfügung stehen soll. Und dies haben die HerausgeberInnen auch weder vorgehabt noch liest sich das Album derartig. Vielmehr regen die einzelnen Teile zum nach-sehen, nach-denken und selbst-erfahren an und fordern heraus sich in den überall mannigfaltig existierenden Zwischenraum zu begeben.

Und in diesem Raum passiert einiges! Mit seziererischem Blick nähern sich z.B. Cattaneo und Meyer den Zonen des Dazwischen, die sie Schwellenräume nennen, denn: das Dazwischen “ist weder der einen noch der anderen Sphäre [privat/öffentlich] zuzuordnen; das macht es zweideutig und lebendig. Es trennt und verbindet zugleich.” Und inwiefern die Sphären trennen und verbinden können, wird eindrucksvoll anhand verschiedener Situationen erläutert, die wohldosiert mit Fotomaterial illustriert sind und auf der Webseite des Projekts mit Videomaterial von Fred Truninger ergänzt werden.

[youtube]https://www.youtube.com/watch?v=Iax70wXXfF4#t=83[/youtube]

Der Weg des Albums führt auf diese Weise vom Öffentlichen ins Private und andersherum. Immer entlang der Erkenntnis, dass es, wenn wir uns in beiden Kategorien wohl fühlen oder unsere Grundbedürfnisse nahräumlicher Kommunikation stillen wollen, bei der Gestaltung ebendieser Räume ansetzen müssen, denn “das Dazwischen ist zentral für unser Selbstverständnis von Zuhause und Fremdsein, von Intimität und Nachbarschaft”.

Sicherlich betreffen diese Bedürfnisse nicht jede/n gleichermaßen und auch nicht in allen Lebensphasen, doch bestimmte Gruppen, wie z.B. ältere Menschen die nicht mehr oder jüngere, die noch nicht eigenmobil sind, sind im Wesentlichen auf ein nahräumliches Angebot an Möglichkeiten zur Kommunikation, Selbstverwirklichung und dem Gemeinschaftsempfinden angewiesen. Vor allem im Interview von Cattaneo mit Sofie P., die sich vor ihrer Wohnung in Zürich ein Stück paradiesischen Gartens angelegt hat, kann dies eindrucksvoll nachgelesen werden. Aber auch durch Fotos, wird klar, wie wichtig kleine Begegnungen, die quasi ‘en passant’ stattfinden, gerade für ältere Menschen sind. Insofern ist räumliche Gestaltung (einmal mehr) nicht nur die Assemblage von Baukubaturen, sondern, entlang eines aufgeklärten Raumbegriffs im Sinne der Postulate v.a. der französischen Soziologen Lefebvre, Foucault oder de Certeau, auch die Gestaltung von sozialen Handlungen, die Raum in erster Linie prägen und konstituieren.

Diesen theoretischen Ansätzen folgend braucht es also dementsprechend auch einen vielfältigen, pluralistischen Blick, wenn wir in die Praxis, also in die Nutzung des Raumes gehen und die Spuren untersuchen die Nutzung und Handlung hinterlassen, denn Eindeutigkeit ist hier nicht zu erwarten. Und um dies zu gewährleisten, haben die HerausgeberInnen ein Team zusammengestellt, das aus mehreren ExpertInnen für Raumwahrnehmungs, -vermittlungs und -gestaltungsfragen bestand und sich aus völlig verschiedenen Blickwinkeln, mit und ohne Begleitung durch interessierte Bürgerinnen und Bürger, an Zwischenräume in mehreren Züricher Stadtteilen angenähert haben.

Auf diese Weise wurde die theoretische Arbeit immer wieder in die Praxis überführt, vor Ort überprüft, fortgeschrieben und unter Einbezug der Bewohnerschaft erkundet, in wie fern die lokale Gestaltung Auswirkungen auf das Wohlbefinden hat.

Hervorheben möchte ich hierbei die Spaziergänge von Marie-Anne Lerjen, die mit ihrer Agentur für Gehkultur schon seit Jahren urbane Situationen erforscht. Für Dazwischen hat sie je eine abstrakte Anleitung für Erkundungen im Außenraum des Quartier Friesenberg, dem Hardtquartier und dem Quartier Neu-Oerlikon erarbeitet, die unter ihrer Anleitung begangen wurden. Die Druckvorlagen hierzu liegen dem Album bei.

An dieser Stelle möchte ich kurz auf die Gestaltung des Albums eingehen, das m.E. sehr außergewöhnlich ist: Viele unterschiedlich gelayoutete Teile sind in die Publikation eingefügt, teilweise auf unterschiedlichem Papier. Durch dieses Layout entsteht eine lebhafte Sammlung der einzelnen Positionen, die die besonderen Formate des Sammelns, Verstehens und Vermittelns abbilden und das Prozesshafte des gesamten Projekts unterstreichen. Ich finde es ist der Gestalterin Alexandra Noth ausgesprochen gut gelungen, dass die unterschiedlichen Teile weder getrennt für sich stehen, noch der Eindruck der Beliebigkeit aufkommt. Die losen Seiten sind für die meisten, denen ich das Album zur Ansicht gegeben habe, eine Zumutung, da sie ständig verrutschen, herausfallen oder im Rucksack beim Herausnehmen zurück bleiben. Das finde ich aber gerade das Tolle, denn auf diese Weise entstehen immer neue Konstellationen des Albums, wodurch sich meine Rezeption auch immer wieder verändert hat.

Nun, ihr werdet es schon rausgelesen haben: Ich finde das Album “dazwischen – von der Wohnungstür zur Trottoirkante ” toll und möchte es als Anregung v.a. Planenden und Gestaltenden unbedingt empfehlen. Ich finde – trotzdem die Beispiele alle aus Zürich sind, wo die Gestaltung von Wohnraum und öffentlichem Raum nochmal anderen Traditionslinien und Regeln als hier in Deutschland folgt – hat das Album auch hier einen großen Mehrwert. Besonders zur Schärfung des Blicks auf die Bedürfnisse der lokalen Bewohnerschaft, die zutiefst menschlich sind und in der Nutzung und durch die Einschreibung in das Umfeld zwischen öffentlich und privat raumbildend und prägend und dadurch sichtbar werden. Ergo: Dazwischen gibt es viel zu entdecken, zu beobachten, zu lernen und zu verstehen, es braucht aber Aufmerksamkeit und Instrumente dieses zu sehen.

——————————————————————–

«dazwischen – von der Wohnungstür zur Trottoirkante»

Hrsg. Claudia Cattaneo, Verena Huber, Anja Meyer, Roland Züger

96 Seiten mit ca.120 schwarz/weiss Abbildungen

Softcover, knotenfadengeheftete Broschur mit Materialien zum Herausnehmen wie farbige Bildtafeln, Kartenmaterial für drei Erkundungstouren und ein Leporello-Poster

Grafik: Alexandra Noth, Winterthur

Publikation im Eigenverlag

ISBN: 978-3-033-04717-4

Preis: CHF 42.00 zuzüglich CHF 8.00 Versandkosten

Bestellungen an: album@dazwischen.org

oder Verein dazwischen, c/o Claudia Cattaneo, Scheffelstrasse 30, 8037 Zürich