Heute vor 21 Jahren, am 17. September 1991, begann in Hoyerswerda mit einer regelrechten Jagd auf ansässige vietnamesische Händler ein einwöchiger Horrortrip, der bundesweit über die Fernseher in die Wohnzimmer übertragen wurde. Es konnte live dabei zugesehen werden, wie eine kleine Gruppe Rechtsradikaler, gestützt und geschützt von einer sehr großen Gruppe Sympathisanten, in aller Ruhe einen Wohnblock im Plattenbauviertel Wohnkomplex V angriff und unter einschlägigen Parolen Brandsätze gegen die Fassaden und in die eingeworfenen Fenster schmiss.

Diese Bilder werden noch Generationen in den Köpfen der Menschen bleiben und vor allem, sie werden untrennbar mit dem Wohntyp Plattenbau und dem Modell der Neustädte, vor allem in den neuen Bundesländer verbunden sein.

Abb. Jovis Verlag

Was an diesen Bildern aber besonders auffällig wurde, eine Gesellschaftsutopie wendete sich in kürzester Zeit in ihr Gegenteil und die in ihr geschaffene Architektur, als materialisierte Gesellschaftsform gesehen, konnte diesen Prozess nicht kompensieren. Die Platte gilt seit her als architektonischer und das Plattenbauviertel als städtebaulicher Problemfall, der besser so schnell wie möglich beseitigt werden sollte. Darüber hinaus ist die Platte ein Symbol für das Scheitern einer Idee, einem Versprechen der Moderne, die in den schillernsten Farben ausgemalt hat, dass über Architektur eine gute Gesellschaft herstellbar sei.

Das Architektur es vermag Handlungen zu strukturieren und Verhaltensweisen zu steuern und kontrollieren weiß mittlerweile jeder, der sich mit dem gebauten Raum beschäftigt oder reflektiert städtische Räume nutzt. Die neue Komponente ist aber, dass die Bewohnerschaft von Plattenbaugebieten unter einem generellen Stigma zu leiden hat, das sich an dieser Wohnform entlädt. Die Bilder aus Hoyerswerda haben dazu beigetragen, die Bilder aus Rostock-Lichtenhagen ebenso. Wenn jemand Berlin-Marzahn sagt oder Greifswald-Ostseeviertel ist damit meistens nicht der Ort gemeint, sondern das, wofür dieser steht: Soziale Spannungen, hoher Hartz-4 Anteil, Überalterung, Schrumpfungsprozesse, Zukunftsangst, Verlierermentalität…

Veränderte Rahmenbedingungen und gesellschaftlichen Dynamiken hinterlassen Spuren, besonders da, wo Raum, hier besonders Wohnraum, sich nicht in die neue Zeit integrieren lassen will, und vermutlich auch nicht kann. So müssen die hoffnungsvollen Schilder und Hinweistafeln von z.B. „Lebensräume Hoyerswerda“ zynisch erscheinen, denn zwischen Rückbau, wie Abriss und großflächige Zerstörung von langfristig nicht mehr benötigtem Wohnraum positivistisch genannt wird und Möbeldiscountern, die sich einen besonders harten  Preiskampf bieten, wird nichts mehr bunt, was nicht von Staats wegen bunt gemacht wird oder gemacht werden soll. Ein ganzer Stadtteil hängt hier derart am Tropf und vom Wohlwollen der Politik ab, dass selbst die Kinder schon Bagger malen, die ihre Häuser fressen.

„Stadtumbau Ost“ heißt das Zauberwort, mit dem diese Prozesse aufgehalten werden sollen und die düstere Zukunft von Städten mit gleicher Problemlage in einen Lebensraum mit gleichwertigen Lebensverhältnissen wie im Westen der Republik  verwandeln soll; Ungeachtet der Tatsache, dass die Krise der Neustädte auch dort schon angekommen ist. Immerhin kann die Stadt Hoyerswerda aufgrund dieses Programms wieder Hoffnung schöpfen, denn nach allen Negativrekorden der letzten Jahre gilt sie wieder als Vorreiter für ein neues Modell und den danach gestalteten mittlerweile als erfolgreich deklarierten Umbau der einst schrumpfenden Stadt.

Leider kann der Bildband „Hoyerswerda – Die Schrumpfende Stadt“ von Stefan Boness an diesem Bild auch nichts ernsthaftes richten; Wer Katharsis erwartet muss hart im Nehmen sein. Die als Langzeitstudie angelegte fotografische Dokumentation lässt den Blick lakonisch um diese Themenfelder schweifen, begegnet dem Stadtkörper aber mit Neugier und Unbefangenheit. Boness ist nicht auf Effekthascherei aus oder den schnellen Moment, sondern nimmt was er vorfindet als Ausgangslage für seine Geschichte, die er in einem sehr sehr langsamen Tempo entspinnt. Ihm geht es nicht darum Anzeichen für dieses oder jenes, für Negativ- oder Positivrekorde zu finden, auch nicht darum, etwas zu konterkarrieren, sondern vielmehr darum den Rezipienten anzuhalten die Leere, das Ungewisse, die zaghaften Spuren der dort lebenden Menschen anzusehen und zu verstehen, was Architektur, Städtebau und veränderte Rahmenbedingungen mit den Menschen machen.

Obwohl nicht ganz wenige Menschen in den Blöcken zu Hause sind, sind auf den Fotografien kaum welche zu sehen. Spielplätze sind verweist, Plätze gähnend leer; die umgescheschmissenen Stadtmöbel und die abblätternden Fassaden sind das lebendigste Zeichen im ganzen Band. Durch diesen Trick jedoch zeigt Boness nicht ein oberflächliches Bild dieser Zustände oder geht den Kritikern auf den Leim, die behaupten es handle sich bei Hoyerswerda um eine verwaltete Leere, sondern zeigt die Potentiale und den Gestaltungswillen der Menschen durch eben deren Zeichen. Und hier spürt er eine Menge auf: „Hoywoy wird bunt“, „I love HY“ und „Holy Beach“ sind nur einige davon.

Selbst wenn im Unklaren bleibt, ob dieses Leben nur temporär in auf den Abriss, sorry, Rückbau wartenden Häusern existiert, oder ob das die hoffnungsvollen Pflänzchen der zukünftigen Wälder sind, bleibt zwar im Unklaren, doch sie sind da. Jetzt gilt es die Menschen dazu und deren Potentiale zu finden und zu bündeln, damit, so widersprüchlich Hoyerswerda und all die anderen Städte mit ähnlichen Problemlagen sind, aus den Bergen geschreddertem Beton wieder etwas erwachsen kann, das den Menschen zuversicht gibt und beim Bild auf Seite 78 ganz selbstverständlich an Einzug, nicht an Auszug denken lässt.

 

„Hoyerswerda – Die Schrumpfende Stadt“

Autor: Stefan Boness

Erschienen im Jovis Verlag

96 Seiten, mit 57 farbigen Abbildungen

Preis 28,00€; ISBN 978-3-86859-196-5

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Das Buch ist gleichzeitig der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, die am 20. September im Projektraum Alte Feuerwache, Marchlewskistr. 6, 10243 Berlin (nahe U5 Weberwiese) eröffnet und bis zum 2. November dort zu sehen sein wird. Weitere Informationen unter www.kulturamt-friedrichshain-kreuzberg.de