Als ich das Buch LANDSCAPE VISION MOTION das erste Mal in der Hand gehalten habe, war ich sehr überrascht über die Haptik des Einbands. Bis dahin hatte ich das Titelblatt der ersten Ausgabe der Reihe „Landscript“ nur auf meinem Computerbildschirm gesehen und mir die Frage gestellt, warum bei dem Thema „Landschaftsraum in Bewegung“ der Einband so einfach in schwarz-weiß gehalten wird, es werden weder Zwischentöne noch Bilder gezeigt. Doch durch die spürbare Prägung lässt der Einband Empfindungen aufkommen und gibt so erste Hinweise darauf, dass es in diesem Buch um eine Annäherung an eine Erweiterung des Landschaftsbegriffes geht – ausgehend von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem, wie wir sehen, denken und handeln.

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Abb.: mit freundlicher Genehmigung des Jovis Verlags

Die von der Malerei geprägte durchgezogene Horizontlinie des klassischen Landschaftsbildes wird somit schon auf dem Cover des Buches aufgelöst. Dies setzt sich in den vorwiegend fragmentarisch wirkenden Abbildungen im Buch fort, womit die in der Einleitung beschriebene Abwesenheit von Perspektive durch die digitalen Medien erfahrbar wird. Die Abbildungen springen in allen Maßstäben und Abstraktionsgraden – von weniger abstrakten Entwurfsabbildungen, über großmaßstäbliche Pläne, Diagrammen bis hin zu bruchstückhaft angeordneten Fotografien und Videosequenzen. Nicht mehr (nur) das starre klassische Landschaftsgemälde macht demnach den gegenwärtigen Landschaftsbegriff erklär- und handhabbar, sondern erfahre laut der Herausgeber durch die Bilderflut der digitalen Medien und dem hierdurch entstehenden Fehlen von Perspektive eine „Entortung“ bzw. “Entkernung“ und müsse somit neu formuliert werden. In Folge dessen seien neue Methoden im Umgang mit diesem Raum notwendig. Methoden, die mit dieser durch den Verlust der einen Perspektive entstehenden Bewegung mitgehen, bzw. diese erfassen können – wie z.B. das Medium Film und seinen bewegten Bildern.

Das Buch – aufgeteilt in die drei Kapitel A, B und C – beinhaltet eine Sammlung ausgewählter Texte, deren Autoren unterschiedlicher Profession sind, womit der „Landschaftsraum in Bewegung“ aus entsprechend verschiedenen Richtungen bearbeitet wird. Diese Bandbreite an relevanten Aspekten zum Thema Landschaft und Raum wird schon über die Titel erkennbar und beim Lesen der Abhandlungen dann auch über die Inhalte deutlich. Es geht um die gegenwärtige Entwicklung von Stadt und Land sowie um die mögliche Form der Beschreibung dieser Räume; um Geometrie und Abstraktion, um Bilder, die wir uns von Natur und Landschaft machen, um Sehnsüchte, um die Rolle des Individuums und eben um Vorgehensweisen, die den Umgang mit all diesen Dingen möglich machen. Das erste Kapitel ist zum Teil Bestandsaufnahme dessen, wie Landschaft wahrgenommen wird, führt aber über mögliche Ansätze der Erfassung und des Umgangs mit dem gegenwärtigen Landschaftsraum darüber hinaus. Im zweiten Kapitel steht die konkrete gegenwärtige räumliche Entwicklung hin zu großmaßstäblichen Räumen wie die Metropolen und Regionen im Vordergrund. Es werden Entwurfsarbeiten zur Region von Paris vorgestellt und analysiert, sowie historische Methoden und Instrumente der Raumerfassung in ihrer Kompatibilität auf heutige Gegebenheiten hin beschrieben. Das letzte Kapitel widmet sich dem Medium Film. Es werden Stilmittel untersucht, die Rolle und Darstellung von Landschaft in einigen filmischen Werken werden betrachtet.

Den Kapiteln ist gemeinsam, dass die jeweils behandelten Aspekte durchgängig zwischen verschiedenen Maßstäben und Ebenen springen, wodurch unterschiedlichste Abstraktionsgrade durchlaufen werden. Es werden damit die verschiedensten Bereiche angesprochen, die erst mal auf eine eher unterschwellige Art und Weise und nicht nur über den visuellen Kanal erfahrbar und greifbar sind. Hiermit wird durchgängig auf die Vielschichtigkeit des Raumes und somit auf dem „Landschaftsraum in Bewegung“ hingewiesen. Nicht nur das, was auf den ersten Blick zu sehen ist, scheint von Bedeutung. Dies drückt sich auch über den wechselnden Sprach- bzw. Schreibstil innerhalb der Texte aus, was vor allem in jenen Abschnitten, in denen Inhalte eines Films wiedergegeben werden, stark erlebbar wird. Als Leser taucht man hier komplett in die beschriebene Welt ab. Film scheint – so kommt einem der Gedanke – unabkömmlich zu sein, um den Landschaftsraum in seiner Fülle fassen zu können. In einem somit durchgängig erlebbaren Wechselspiel zwischen Spannung und Entspannung, welcher den theoretischen Charakter der Inhalte sehr lebendig erscheinen lässt und gleichzeitig dem Thema „Landschaftsraum in Bewegung“ in vielerlei Hinsicht gerecht wird, liegt meiner Meinung nach die Stärke dieses Buches. Als ein „kognitives Produkt“ wird Landschaft hier angereichert mit einer Bewegung und einem Rhythmus, dem der Leser nachgehen kann. Dieses Erleben bleibt auch im Nachklang erhalten. Die Inhalte sind in mehrere Richtungen offen und eignen sich somit zum Weiterdenken und -handeln. Durch den fragmentarischen Stil wird das Dazwischen denk- und spürbar – sowohl von Text zu Text, als auch in Bezug auf die Abbildungen. Durch den ständigen Perspektivwechsel wird der Leser immer wieder in die Situation gebracht, sich selber zu lokalisieren und damit ständig mit seinen eigenen Vorstellungen eingebunden.

Ist das Buch also eine Fragestellung? Ist es eine Antwort? Sind es Teile einer oder mehrerer Antworten, die hier zu lesen sind? Oder bietet das Buch alles in einem? Welches Bild steht am Ende, wenn da überhaupt eines steht? Welche Dinge müssen zusammengeführt werden, um ein neues Landschaftsbild zu schaffen? Das Fehlenvon (einer) Perspektive ist also Programm in LANDSCAPE VISION MOTION. Dies macht das Weiterdenken und dem sich daraus womöglich ergebenden neuen Umgang mit Landschaft umso spannender, das Buch sehr lesenswert und neugierig auf die nächste Ausgabe von Landscript.

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Landscript 1: „Landscape Vision Motion“

Herausgeber: Christoph Girot und Fred Truniger

Erschienen im Jovis Verlag (Oktober 2012)

ENGLISCH

Broschur, 208 Seiten mit zahlreichen Abbildungen

Preis € 28,00, ISBN 978-3-86859-210-8

 

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Webseiten der Herausgeber: Christoph Girot und Fred Truniger

 

Über die Autorin: Andrea Respondek hat Landschaftsplanung/Landschaftsarchitektur an der TU Berlin studiert. Besonders gerne beschäftigt sie sich mit Themen rund um Raumwahrnehmung – den Bildern, die wir uns von Stadt und Land machen, dem Mapping und möglichen Formen der Beteiligung.