In letzter Zeit nimmt das Interesse am Thema “Zwischen-” oder “Pioniernutzungen” deutlich zu. Das zeigen die Publikationen „Urban Reset“, „Second-Hand Spaces“ und ganz frisch aus dem Druck auch die Publikation „Urban Catalyst – Mit Zwischennutzungen Stadt entwickeln“. Urban Catalyst sind Player der ersten Stunde, die schon früh temporäre urbane Dynamiken entdeckt und wissenschaftlich, wie praktisch begleitet haben.

UC Cover

Abb.: Cover „Urban Catalyst – Mit Zwischennutzungen Stadt entwickeln“

Gegründet wurde das Büro im Anschluss an ein Forschungsprojekt, das schon Anfang der 2000er-Jahre die Potentiale temporärer Nutzungen für die Stadtentwicklung untersuchte. Namentlich Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer und Philipp Misselwitz schafften es durch diese Forschung eine Aufmerksamkeit für Projekte der alternativen Nutzungen von Schwellenorten, die gleichermaßen „nicht mehr“ und „noch nicht“ sind, zu generieren.
Aufgrund dieser Zwischeneigenschaften haben solche Orte Potentiale, die nicht nur einen kreativen Umgang mit der Substanz herausfordern, sondern auch planerische Konzepte benötigen, die aus den Gegebenheiten entwickelt bzw. aufgrund von Nutzungskonzepten teilweise neu erfunden werden müssen (einen interessanten Beitrag zu diesem Thema gibt es auch im Film „Bar 25 – Tage außerhalb der Zeit“).
Davon zeugen die im Buch versammelten Beispiele, die auf mehreren Ebenen beleuchtet und nach Handlungsformaten geordnet werden. Aus diesen Beispielen und Referenzprojekten leiten Urban Catalyst eine Typologie der Zwischennutzung ab und beschreiben auf diese Weise ganz unterschiedliche Formen des Temporären: „Lückenbüßer“, „Nomaden“, „Impulsgeber“ usf. werden kenntnisreich vorgestellt und durch Texte verschiedener namhafter Autoren und Interviews zusammengefasst, erweitert und unterbrochen. Besonders sind hierbei die vielen Beispiele aus anderen europäischen Ländern, die aufgrund sozialer, politischer und ökonomischer Schieflagen oder Krieg, z.B. in Ex-Jogoslawien, überhaupt erst denkbar wurden.
Dabei bleiben Urban Catalyst aber stets analytisch und kritisch; den Projekten gegenüber ebenso, wie sich und den eigenen Ergebnissen. Diese Selbst-Kritik ist, und das wird bei der Lektüre schnell klar, unbedingt notwendig, da Zwischennutzungen oftmals als Vorboten einer gewollten Gentrifizierung gedeutet und als solche schnell einseitig vereinnamt werden. Und dieser Verdacht kommt nicht von ungefähr, denn wo Urbanität herrscht, die bunt und vielfältig gelebt wird, wo Pioniernutzungen aufgelassene oder aus der Verwertung herausgefallene Orte erfolgreich bespielen, steigt selbstverständlich auch die Aufmerksamkeit und das Interesse gegenüber dem Ort. Das wird wohl der ewige Fluch der Zwischennutzer bleiben: Ist das Konzept erfolgreich, stürzen sich sofort vielfältige Verwertungs- und Vermarktungsinteressen auf die Orte und Räume, was im Buch anhand des Beispiels aus Manchester und dem Neubau des Shopping Centers an der Arizona Road in Brcko sowie in der Realität anhand der gegenwärtigen Wandlung von Pionierprojekten in Berlin eindrücklich studiert werden kann – Am Zaun der Prinzessinnengärten ist seit einiger Zeit ein „Gentrifier“-Graffiti aufgesprüht.
So kann es durchaus sein, dass Zwischennutzer an ihrer eigenen Auflösung teilhaben, da sie Prozesse in Gang bringen, die an den bespielten Orten sicher nicht ohne kreative Zwischennutzung möglich wäre. Entweder schaffen sie es den Ort gegen diese Interessen zu verteidigen oder sie werden verdrängt und finden an anderer Stelle neue Potentiale, um diese weiterzuentwickeln. Hier stellt das Buch einige Projekte vor, die diese Dynamik von Anfang an mitkalkuliert haben oder wie das WMF in Berlin, das den permanenten Neustart an jeweils anderen Orten von Anfang an zum Konzept erhoben und von vorne herein ein nomadisierendes Projekt entwickelt hat. Manchmal sind Konzepte aber auch so erfolgreich, dass Zwischennutzer zu Dauernutzern werden, die sich mit viel Verve und Ortskenntnis lokal vernetzen und Orte dauerhaft bespielen. Siehe hier das Projekt „Cable Factory“ in Helsinki.
Formal ist das Buch im Stil eines Manuals aufbereitet, das eine unheimlich schöne Materialität hat; Alleine die Haptik mach unheimlich Freude beim lesen. Die Inhalte sind auf mehreren Ebenen gegliedert, die sich mir en detail jedoch weder auf den ersten noch den zweiten Blick erschließen. So sind mir z.B. die Farbwechsel immer noch nicht ganz klar geworden. Hier hätte ich mir mehr Eindeutigkeit oder eine Legende gewünscht, aus der hervorgeht, wie das Buch gedacht ist.
Inhaltlich versammelt das Buch auf vielfältige Weise einen über Jahre angesammelten Wissenvorrat über Zwischennutzungen und deren Bedingungen und stellt diese einem breiten Publikum zur Verfügung. Es begibt sich aber somit auch auf eine Gratwanderung dieses Wissen nicht nur an potentielle Zwischennutzer und Zwischennutzerinnen weiterzugeben, sondern dieses gleichzeitig auch Investoren und Projektentwicklern zur Verfügung zu stellen.
Trotz der Vielfältigkeit der vorgestellten Projekte, deren wissenschaftlicher Aufarbeitung und kenntnisreicher Beschreibung sowie der Begleitung und Unterbrechung der Beispiele mit Interviews und sehr guten Zwischentexten muss ich doch anmerken, dass in vielen Texten mit Begriffspaaren argumentiert wird, die sich diametral Gegenüberstehen, was mir einen Eindruck des Schwarz/Weiß-Denkens vermittelt. Ein Beispiel wäre die Unterscheidung in „Raumproduzenten“ und „Raumkonsumenten“, die wenig Spielraum für mehrere Kategorien der Raumnutzung lässt und unterschlägt, dass es auch Kategorien der Raum-Nichtnutzung, also der aktiven Nicht-Teilnahme gibt.
Was mir hingegen besonders gefällt ist, dass die Stoßrichtung des gesamten Buchs weniger in Richtung “Revolution” sondern in Richtung “Evolution” geht. Richtig begeistert bin ich von den einleitenden Gedanken, der aus den Beobachtungen resultierenden Handlungsstrategien und dem „Plädoyer für einen Städtebau des Gebrauchs“. Gerade letzteres kann ich ausdrücklich unterstreichen und möchte hiermit alle urbanen Akteure auffordern mit dieser umfangreichen Sammlung guter, aber auch gescheiterter Beispiele die vorhandenen Spielräume auszuloten und somit den alten Drachen „Planung“ aktiv weiterzuentwickeln. Denn, und das ist ein echter Trost, sowohl bei Investoren als auch in der Verwaltung ist mittlerweile angekommen, dass es diese Spielräume dringend braucht um eine lebhafte und menschengerechte Urbanität zu schaffen und eine dauerhafte Attraktivität zu erhalten.

„Urban Catalyst – Mit Zwischennutzungen Stadt entwickeln“
Herausgeber: Philipp Oswalt, Klaus Overmeyer und Philipp Misselwitz
Erschienen im Verlag DOM publishers
Softcover 384 Seiten, über 200 Abbildungen
Preis € 38,00; ISBN 978-3-86922-244-8
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