Die im Sammelband „The Acoustic City“ enthaltenen Texte umkreisen den Begriff der „soundscape“ (Klanglandschaft) der Städte. Geprägt wurde der Begriff vor etwa vierzig Jahren vom kanadischen Klangforscher, Lehrer und Komponisten R. Murray Schafer in dessen Grundlagentext: „The tuning of the world“ ( dt.: „Die Ordnung der Klänge“): Schafer fiel an seinen Schülern eine stark eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit auf, die er auf eine mangelnde Fähigkeit zum Zu-Hören zurückführte. Innerhalb eines Forschungsprogramms, versuchte er diese elementare Fähigkeit mittels verschiedener Übungen zu fördern. Die dabei entwickelten Techniken, wie „soundwalks“ (Klangspaziergänge), „ear cleaning“ ( Entwicklung eines umfassenden nicht selektiven Hörens ) und „fieldrecordings“ ( Aufnahmen einer Klangsituation) bestimmen die Diskussion seither. Im von ihm mitgegründeten „world soundscape project“ wurden die Klänge der Gegenwart quasi wie in einem Klang-Museum gespeichert.

Abb.: Cover "The Acoustic City", Jovis Verlag

Abb.: Cover “The Acoustic City”, Jovis Verlag

Der vorliegende Sammelband “The acoustic City” versucht nun eine Aktualisierung, Erweiterung und Re-Definition dieser Begriffe aus heutiger Sicht. In mehreren Aufsätzen wird der Ansatz als zu vereinfachend kritisiert: Matthew Gandy und Steven Connor werfen Murray-Schafer vor Klänge ( Wellen,Wind, Vögel, Autos etc) fleißig zu sammeln , dabei aber nur einen Aspekt des Begriffes: „soundscape“: nämlich die quasi natürlichen Klänge, die eine akustische Umgebung formen, aufzunehmen. Vernachlässigt würde in diesem Konzept, die zweite Begriffsebene: die bewusst gemachten Klänge (z.B Musik, Vogelgesang). Insbesondere fehle eine Analyse der Beziehungen der Klänge untereinander und deren historischen, soziologischen und wirtschaftlichen Bedingtheit. Oder einfacher ausgedrückt: es werden Klänge einfach aufgezeichnet, dabei aber vernachlässigt, warum etwas genau an diesem speziellen Ort zu genau dieser Zeit so klingt und wie diese Klänge zueinander in Beziehung stehen.: Klang ist nicht nur ein akustisches Phänomen, sondern ist in einen sozialen und historischen Kontext eingebettet, zur Unterscheidung schlägt Matthew Gandy den Begriff „auditory landscape“ statt „soundscape“ vor.

Aus diesen theoretischen Überlegungen heraus wird auch der interdisziplinäre Ansatz des Bandes verständlich: zu Wort ( und teilweise auch Klang, da der Band auch passenderweise eine CD mit Musik und „fieldrecordings“ beigelegt ist ) kommen daher nicht nur Klangforscher und Musiker, sondern auch Kulturwissenschaftler, Architekten, Soziologen und Geographen.

In fünf Kapiteln umkreisen die Autoren das Feld:

  • die urbanen Klanglandschaften
  • Klangspaziergänge und die Aufnahme der Klänge,
  • Klangkulturen z.B. in Berlin, Helsinki, Detroit und Goa , hier wird versucht, warum sich Klänge und Musik an eben diesen Orten so entwickelt haben
  • akustische Ökologie und die Beziehungen zwischen Klang, Architektur und Stadtforschung und
  • die Politik des Geräuschs oder wie sich Machtverhältnisse auch klanglich darstellen können

Weiterhin wird die Beziehung zwischen Sehen und Hören – Auge und Ohr- untersucht, wobei – wie in philosophischen Texten sonst üblich- darauf verzichtet wird eine Rangordnung der Sinne aufzustellen: Vereinfachend ausgedrückt wird das Sehen/Auge gerne mit einer rationalen Haltung des Über-Blicks- vom gerade gesehenen Objekt distanziert- verbunden, das Hören/Ohr mit einer direkten phänomenologischen Betroffenheit ( Aufklärung und Moderne würden hierbei klischeehaft mit einer Bevorzugung des Sehens, Gotik und Postmoderne hingegen mit der des Hörens verbunden).

Viel interessanter ist es doch die „Zwischenräume“ ( the „space between“)   zu beleuchten, die sich eröffnen, wenn beide Sinne kombiniert werden, wie im Text und v.a in den Bildern Merijn Royaard, der klangliche Phänomene graphisch darstellt. Ein kreativer Zwischenraum, dessen Regeln bislang kaum erforscht sind: z.B im berühmtem Schriftwechsel von Arnold Schönberg und Wassily Kandinsky, in dem sich beide mit der Frage auseinandersetzten, warum zur gleichen Zeit ( Jahrhundertwende) sowohl in der Malerei und der Musik die bislang geltenden Prinzipien außer Kraft gesetzt wurden oder in den Experimenten von John Cage und Merce Cunningham.

Mit einem ähnlichen Thema- nämlich der Verortung von Klängen ( „acoustic mapping“)- befasst sich Gascia Ouzounian: Die interaktive Klang-Karte ( „sound map“) , die es erlaubt, mithilfe einer Technik wie z.B. google-maps, Klangaufnahmen via Internet auf einer Karte zu verorten. In dem famosen und klaren Artikel, der noch dazu im Anmerkungsapparat mit vielen hilfreichen Links zu Blog-Einträgen gespickt ist, stellt Ouzounian kritische Fragen, wie z.B.: Welche Probleme ergeben sich , wenn der dreidimensionale Klang in einer zweidimensionale Karte gespeichert wird? Bedarf es möglicherweise nicht auch noch weiterer Informationen um die Klänge zu verstehen starren? Anhand einiger Beispiele weist die Autorin auf die vielen Möglichkeiten hin, die sich aus der Klangkartierung ergeben: Es kann

– ein Künstler als Individuum eine Klangaufnahme in die Karte setzen ( entspräche dem traditionellen Kunstbegriff ) oder

– wie Peter Cusack in seinem Projekt „Favourite Sounds“ die Bewohner einiger Städte dazu aufrufen, ihren Lieblingsklang beizutragen und damit zu einem Dialog über Klänge anzuregen oder

– wie Chris Watson in seinem Projekt „Inside the circle of fire: A Sheffield Sound Map“, die Bewohner Sheffields zu sensibilisieren für die Klänge ihrer Umgebung und wie diese bedingt sind.

Das Hören ist damit also keineswegs eine passive Handlung ( Aufnahme von Klängen durch das Ohr) sondern eine Aufforderung zum aktiven Tätigwerden: in der Schulung des eigenen Hörens , im Austausch mit Anderen über die Klänge und wie sich die heutige durch Klangvermüllung geprägte Lage ändern ließe.

Um zum Anfang zurückzukehren: Die Autoren kritisieren zu Recht Murray-Schafers Beschränkung auf die sinnliche Wahrnehmung des Akustischen, die allerdings aufgrund der Dominanz des Sehens zum damaligen Zeitpunkt auch angebracht war: Hören-Lernen ist keine einfache Aufgabe und vermutlich nur durch die bewusste Beschränkung möglich,bedarf dann allerdings auch einer Erweiterung, die unseres Erachtens . im vorliegenden Sammelband hervorragend geglückt ist.

Die vorab Lektüre des Standard-Werks „Die Ordnung der Kläge: Eine Kulturgeschichte des Hörens“ von R. Murray Schafer, insbesondere des klugen Vorworts der Übersetzerin Sabin Breitsameter würde zum Verständnis allerdings gleichermaßen beitragen.

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„The Acoustic City“

Herausgeber: Mathew Gandy und BJ Nilsen

Erschienen im Jovis Verlag (April 2014)

ENGLISCH; Broschur, 224 Seiten mit einer CD und zahlr. farb. Abbildungen

Preis € 28.00  sFr 36.80; ISBN 978-3-86859-271-9

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Die Rezension wurde vom Gastautor Werner Pregler aus Nürnberg verfasst. Werner ist Mitglied der Kunst und Forschungsgruppe LeoPART und beschäftigt sich mit dem breiten Feld der Akustik in der Stadt. Sein Hauptinteresse gilt dem erforschen lokaler Soundscapes. Er versucht auf geführten Stadtpaziergängen (“die sich nie wiederholen”) mit den Teilnehmenden die Sensibiliät für die Wahrnehmung der kleinen Dinge zu schärfen. Seine theoretischen Einführungen in die Klangwalks sind legendär.

Mehr über die LeoPARTS findet ihr hier