Selten fand ich das Cover eines Buches passender, als das des Bandes “WERTE.”, das letzten Monat im Jovis Verlag Berlin erschienen ist. Das Cover zeigt den halb abgerissenen Palast der Republik. Lediglich die Treppenhäuser stehen noch trotzig vor der „historischen“ Kulisse mit Lustgarten, Altem Museum, Berliner Dom, Marienkirche etc., aber auch vor der schon neubebauten Ecke an der Spandauer Straße.

Abb.: Jovis Verlag

Abb.: Jovis Verlag

Auf diesem, vom Fotografen Matthias Koch aufgenommenen Bild verdichten sich nicht nur an die 800 Jahre ablesbarer Berliner Stadtgeschichte, sondern auch die großen Auseinandersetzungen um Zerstören und Bewahren, was an dieser zentralen Stelle der Hauptstadt immer mehr mit Bildern und politischen Narrativen zu tun hatte, denn mit zentralen Werten der Denkmalpflege und einer Diskussion um diese.

Obgleich es für den Berliner Schlossplatz zu spät ist, eine (erneute) Wertediskussion zu führen, kann am Umgang mit dem Areal, dem Abriss des Palastes der Republik und dem Gezerre über die Neubebauung gut abgelesen werden, wie sich die Rahmenbedingungen dieser, seit der Begründung der modernen Denkmalpflege um 1900, verändert hat. Nicht dass es um die Bebauung oder Nichtbebauung des Schlossplatzes keinen Diskurs gegeben hätte, doch das Verfahren offenbart, wie es heutzutage um die Erinnerungskultur im Lande bestellt ist. Und nicht nur das, sondern auch, wer die Akteure sind, mit welchen Interessen sie ihre Ziele verfolgen und mit welchen Argumentationen sie die Deutungshoheit über den Ort und die Geschichte erringen.

Erinnerungskultur ist dann auch schon das Stichwort, das uns mitten in den Abschlussband des Verbundforschungsprojekts „Denkmal – Werte – Dialog – Historisch-kritische Analyse und systematisch-praktische Konzeption denkmalpflegerischer Leitwerte“ führt, an dem sich die Universitäten Weimar, Dortmund, Dresden und Halle beteiligt haben. Ziel des Forschungsprojektes war es neben der fachinternen Vermittlung divergierender Positionen und Wertvor­stellungen auch der Übersetzung denkmalpflegerischer Werte in die Gesellschaft bzw. der Rückübersetzung gesellschaftlicher Ansprüche in die denkmal­pflegerische Praxis Rechnung zu tragen und das insbesondere vor dem Hintergrund neuer Herausforderungen an Städte und Kulturlandschaften. Zugespitzt stellt sich das Forschungsprojekt die Frage nach dem Wert von Denkmalen innerhalb von sozialen Integrationsprozessen und dies auf regionaler, nationaler und europäischer und internationaler Wirk-Ebene.

Formal folgt die Publikation vieler jüngst erschienener Bücher, die derart aufgebaut sind, dass um eine Auswahl an Texten zu Geschichte und aktueller Debatte einige interessante Positionen versammelt sind. Zwischen den einzelnen Beiträgen werden die zentralen Begriffe, ähnlich einem Glossar, kurz aufbereitet und mit Quellen zur weiteren Recherche angeboten.

Inhaltlich versucht der Band, so scheint es, nicht nur ein breites Feld der Auseinandersetzung um Wertbildungsprozesse der Denkmalpflege aufzuzeigen, sondern verfolgt neben dieser auch didaktische Ziele, was anhand des Aufbaus rückgeschlossen werden kann. So stehen einleitende Rezeptionen von Kerntexten als Denkanstöße zu „Wertelehren“ vor der Auseinandersetzung mit „Wertegruppen“, die in historische, ästhetische und gesellschaftliche Werte unterteilt sind. Die Gruppen sind intern noch in einem Verlauf von theoretischen Herangehensweisen hin zu praktischer Betrachtung unterteilt, womit die gesamte Diskussion um die unterschiedlichen Einzelwerte von Denkmalen gut abgebildet werden kann.

Durch diese Herangehensweise erreichen die Herausgeberinnen und Herausgeber keine Rückschau die in der Theoriebildung stecken bleibt, sondern spiegeln die historische Entwicklung mit gegenwärtigen Tendenzen, wodurch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, mit denen die Denkmalpflege nicht nur seit jeher, sondern auch und vor allem gegenwärtig zu kämpfen hat, deutlich hervortreten. Somit bilden sie ein Fundament, über das, ähnlich der Denkmalpflege selbst, Vergangenes in die Zukunft vermittelt werden kann.

Hiermit wäre auch die schwierigste Aufgabe der denkmalpflegerischen Gegenwart beschrieben, da, wie die Herausgeberinnen und Herausgeber in der Einleitung problematisieren, die gesellschaftliche Akzeptanz denkmalpflegerischer Werte unsicher geworden ist. So spielt, neben einer wichtigen Fachdiskussion auch die Übersetzung und Vermittlung dieser Werte eine zentrale Rolle. Denn nur jene Denkmale, an denen sich zum einen historische, ästhetische und gesellschaftliche Werte festmachen und ablesen lassen und die zum anderen einer interessierten und aufgeschlossenen Öffentlichkeit vermittelbar sind, werden auch in Zukunft noch relevant sein.

Letzteres kann wiederum nur bewerkstelligt werden, wenn neue Gruppen aktiviert und in die Auseinandersetzung nicht nur über den Inhalt und die Form, sondern auch über die Materialität der Medien einbezogen werden. Denkmalpflege darf also kein elitärer Diskurs werden, sondern muss sich der Öffentlichkeit mit Verve stellen um die fachlich ermittelten Inhalte angemessen zu (re)präsentieren. Darüber hinaus können Relevanzdiskussionen durch eine breit angelegte Information und Partizipation vermieden werden.

Hier leistet “WERTE.” eine gute Vorarbeit: Der Band bietet eine solide Auswahl an Positionen, die sicherlich vielen, die sich im Feld der Denkmaltheorie und -praxis sowie in den Kulturwissenschaften allgemein aufhalten, bekannt sein dürften; schafft aber durch die Auswahl, Reihung und Gruppierung unter einem jeweiligen Oberbegriff neue Zugänge und Lesarten.

Aber nicht nur für KennerInnen der Materie ist dieser Band geschrieben, sondern auch für Interessierte, die die aktuellen Auseinandersetzungen und Diskurse verstehen und sich ggf. in diese einbringen wollen. Die relativ kurzen Artikel unterstützen dies, ebenso, wie die zwischen die Textblöcke eingefügten Erläuterungen der denkmalpflegerischen Grundbegriffe.

Eine Fotoserie des schon erwähnten Fotografen Matthias Koch erweitert die Theorie in die Praxis und bietet eingangs eine kleine Wahrnehmungsschule für verschiedenste Formen von Schauplätzen der Geschichte und deren erhaltenswerten Eigenschaften.

“WERTE.” liest sich insgesamt sehr gut und vermittelt trotz dem didaktischen Aufbau zu keiner Zeit fachkundige Überheblichkeit, sondern den tiefen Willen ein guter Ausgangspunkt sowohl für eine fachinterne als auch öffentliche Diskussion zu sein. Die Texte regen an weitere Recherchen und Ausflüge in einen interessanten, aber ohne solche „Helfer“ schwer zu erschließenden Bereich zu unternehmen.

So ist “WERTE.” für mich ein fundierter und unaufgeregter Band, der sein Potential auf einer sachlichen Ebene, jedoch nicht ohne Leidenschaft für die Sache ausbreitet. Er operiert insgesamt fundiert und nachhaltig, was mich persönlich sehr eingenommen hat.

WERTE. Begründungen der Denkmalpflege in Geschichte und Gegenwart

Herausgeber: Hans-Rudolf Meier/Ingrid Scheurmann/Wolfgang Sonne (Hg.)

Mit Beiträgen von: Arnold Bartetzky, Anke Binnewerg, Bernd Euler-Rolle, Dominique Fliegler, Silke Haps, Hans-Rudolf Meier, Matthias Noell, Birte Pusback, Ingrid Scheurmann, Wolfgang Sonne, Susanne Thiele, Johannes Warda, Stephanie Warnke-De Nobili und Ulrike Wendland.

Hardcover 256 Seiten mit ca. 40 farb. und 160 s/w Abbildungen

ISBN 978-3-86859-162-0, Euro 38.00  sFr 52.00

Erschienen im Februar 2013

Die Publikation auf der Webseite des Verlags

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