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Quelle: Suhrkamp Verlag

Mittlerweile beginnt nahezu jeder Text über Stadtentwicklung – sei er akademisch oder populärwissenschaftlich – mit der Feststellung, dass seit einigen Jahren mehr Menschen in den Städten leben als auf dem Land. Das ist in „Wir sind die Stadt!“ glücklicherweise nicht so: Die Feststellung folgt erst auf der dritten Textseite.

Trotz dieser anfänglichen Ernüchterung hat der Journalist und Kunst-, Stadt- und Architekturkritiker Hanno Rauterberg ein außergewöhnliches Buch geschrieben. Sprachlich äußerst gewandt greift er nahezu alle zeitgenössischen Phänomene urbaner Kultur auf und setzt sie fast schon spielerisch wie ein Tausend-Teile-Puzzle zusammen. Die Liste der Themen ist lang: Occupy und Urban Gardening, Parkour und Flashmobs, Facebook-Partys und Geocaching, Adbusting und Restaurant Day – und vieles, vieles mehr. Dabei ist es keine bloße Aufzählung, sondern eine schnell lesbare Abhandlung, die wie eine Führung durch unsere Städte erscheint.

Das beeindruckt und hilft über einige Schwächen hinweg. „Wir sind die Stadt!“ ist ein Manifest und eine Streitschrift und keineswegs eine wissenschaftliche Abhandlung – dafür fehlen bereits Quellen. Es fordert eine neue (zumindest für einige Akteure) Sichtweise auf die Stadt und auf das, was in ihr passiert. Doch sind die Schlüsse, die Rauterberg aus Beispielen zieht, manchmal recht gewagt, zu sehr verallgemeinernd und plakativ; sie stehen an einigen Stellen gefährlich nahe zur Polemik:

Bevor er Urban Gardening mit Guerilla Gardening gleichsetzt (Aua!) erklärt er, warum die digitalen Generationen nicht nur im digitalen Medien ihre Selbsterfahrungen suchen, flapsig mit dem Satz: „Dennoch scheint das Internet bei all seiner Größe und Vielfalt nicht groß und vielfältig genug zu sein.“ Das wäre laut Rauterberg der Grund, warum die Stadtmenschen auf die Straße gingen, um sich dort auszuprobieren. Doch geht es dabei nur um Vielfalt und Größe, wie er schreibt, oder nicht viel mehr auch um Haptik und reales, materielles Erschaffen oder gänzlich andere Aspekte? Mehrere dieser kleinen Kurzschlüsse lassen Rauterbergs sonst recht beeindruckende Argumentation wackeln.

Doch es lohnt sich trotzdem dieses Buch zu lesen, denn Rauterbergs Thesen haben es in sich. So ruft er das Ende des Gegensatzes von Öffentlichem und Privatem aus, wenn er zu diesem Dauerthema der Stadtsoziologie schreibt: „Dieses Denken [in der Gegensätzlichkeit öffentlich-privat, Anm. d. Rez.] mag zwar in vielen Planerköpfen stecken und viele Debatten bestimmen. Doch schon lange hat das reale Verhalten der Menschen diesen Gegensatz außer Kraft gesetzt. Und es gehört zu den Merkmalen der Digitalmoderne, alles Bipolare aufzulösen.“

Man muss Rauterberg nicht in allem zustimmen, doch ihm gelingt es einerseits, die schier beeindruckende Breite dessen darzustellen, was im Kleinen beginnt und unsere Städte gerade gehörig umkrempelt. Andererseits beißt er sich nicht in einem Punkt fest und schafft so einen umfassenden Überblick über die Stadtentwicklung von unten. Mit 149 Textseiten ohne Abbildungen im klassischen Edition-Suhrkamp-Design ist das Buch weder zu lang um langweilig zu werden, noch zu kurz um oberflächlich zu sein.

 

PS: Urbanophile kaufen ihre Bücher natürlich im klassischen Buchhandel und nicht über den marktbeherrschenden Online-Giganten.