Für kommenden Freitag kündigt sich eine Sensation für alle Freunde und Freundinnen der Moderne, insbesondere für Freunde und Freundinnen der Architektur Mies van der Rohes und des Tugendhat Hauses in Brno an: Pandora Films bringt zum DVD-Release des Films “Haus Tugendhat” (ich hatte dazu eine Rezension verfasst, die ihr hier finden könnt) eine Edition heraus, die um zwei weitere Filme eine offenbarende Fußnote zur Sanierung und äußerst sehenswerte Outtakes erweitert wurde.

Haus Tugendhat - Baustelle, 1929 © strandfilm, Pandora Film Verleih

Haus Tugendhat
– Baustelle, 1929 © strandfilm, Pandora Film Verleih

Dieter Reifahrt hat aus den Rohmaterialien des ersten Films eine eigenständige Dokumentation der Sanierung des Hauses von 2009 bis zur Wiedereröffnung 2012 geschnitten, die sich auf unheimlich detaillierte Weise der komplexen Aufgabe der Sanierung eines so wichtigen Hauses, wie dem Haus Tugendhat, widmet. Nahezu alle Gewerke werden beleuchtet und durch ExpertInnEn erläutert. Besuche in den an der Restaurierung beteiligten Spezialwerkstätten geben weite Einblicke in die Detailhaftigkeit aber auch die Schwierigkeiten der Rekonstruktion, da viele Originalteile nicht mehr existieren und aufgrund von Beschreibungen oder Fotografien rekonstruiert werden müssen.

Dazu kommt, dass das originale Interieur über die ganze Welt zerstreut wurde und sich in Museen und Privatbesitz befindet, was die Rückführung in den Besitz der Tugendhat-Nachfahren und somit auch die Rücküberführung ins Tugendhat Haus zu einer spannenden, nicht ganz unkritsichen Geschichte von Recht und Gerechtigkeit und der Aufarbeitung von Deutscher und Tschechischer Vergangenheit macht.

Sehr berührt haben mich die Aussagen der Tugendhat-Nachfahren, die sehr offen und detailliert über tatsächliche und ideelle Aneignungen des Hauses und der Gegenstände berichten, die die Tugendhats zurücklassen mussten. Besonders bizarr sind die unmoralischne Angebote selbsternannter Retter der Gegenstände aus dem Haus und seltsamen Rücküberführungsverfahren aus tschechischen Museen.

Alles in allem stellt sich während der Dokumentation mehrfach die Frage, ob die Rekonstruktion den persönlichen Aufwand, den sich die Familie Tugendhat ebenso, wie die an der Arbeit beteiligten wissenschaftlichen Institute und Handwerker machen, rechtfertigt, und ob das Ergebnis, das am Ende zur Betrachtungs steht, nicht eher ein Neubau mit ein paar originalen Details geworden ist. Doch dazu sollte jede/r eine eigene Meinung entwickeln.
Hier sehe ich die absolute Stärke der Dokumentation: Sie hilft mit den vielen begeisterten wie auch kritischen Stimmen auch dem nicht fachlich versierten Publikum eine differenzierte Haltung zu Fragen des Denkmalschutzes, der Sanierung und Rekonstruktion zu finden. Dies vor allem dadurch, dass sie von so vielen Seiten auf das Unternehmen schaut, viele Akteure auf unterscheidlichen Ebenen zu Wort kommen lässt und dabei aber den liebevollen Blick für das Haus nie aus den Augen verliert.

Abgerundet wird die Edition mit dem Film “Haus Tugendhat – Architekturfotografie, Mies van der Rohe, Neues Bauen” einer, wie ich es nennen würde, ‘Sehschule’ zum Thema Architekturfotografie, in der erläutert wird, wie die fotografische Inszenierung von Architektur unsere Wahrnehmung über diese beeinflusst.
Am Beispiel der faszinierenden Bilder de Sandalos, durch welche das Haus berühmt wurde, wird von vielen ausgewiesenen Experten durchdekliniert, wie diese Bilder Einfluss auf die Rezeption von Gebäuden nehmen.

Besonders spannend fand ich die Verbindung dieser Rezeption mit der laufenden Sanierung des Hauses Tugendhat, die sich in einem Zitat der Kunsthistorikerin Monika Wagner zuspitzt: “Ich glaube, dass die Restaurierung hier vom Haus Tugendhat Anlass gibt sich neu zu befragen, wie die Oberflächen der Moderne der 20er Jahre zu bewerten seien, denn die ganze Kühle und Sachlichkeit der Architektur scheint ja über diese Art der Oberflächen, die ja voller Lebendigkeit sind und die jetzt auch mit dieser Bearbeitung des Travertins diesen Honigton annehmen, überhaupt nicht mehr in dieser kühlen Sachlichkeit angesiedelt zu sein. Und man muss sich einfach fragen, in wie fern so eine Inkunabel des neuen Bauens da nicht ein Programm zum Ausdruck bringt, das uns doch Anlass geben sollte neu darüber nachzudenken, wie diese Architektur insgesamt zu bewerten ist, weil die Oberflächen sind ja ein Symtom und hier finde ich, kann man das jetzt bei der Restaurierung mit diesen feinen Sandoberflächen in denen sich erstmal ein Spektrum der Farben zeigt, die das Weiß einfach so beleben, das ist kein Weiß mehr, und die einfach einen anderen Anschluss zu den Natursteinen, den Naturmaterialien herstellt.” Es steht also nichts weiter, als die Rezeptionsgeschichte der Moderne auf dem Prüfstand, was in der Kombination der einzelnen Filme sehr gut nachvollzogen werden kann.

Ich denke ich brauche das nicht weiter auszuführen, ich bin begeistert! Das Zusatzmaterial der DVD-Edition schließt für mich die Lücke, die der Film bei mir hinterlassen hat und bietet über die Einblicke auch und gerade für ein nichtversiertes Publikum ein tiefes Verständnis der Arbeit Mies van der Rohes, sowie der praktischen Arbeit von KunsthistorikerInnen, DenkmalpforscherInnen und -PflegerInnen an. Die Filme werfen generelle und spezielle Fragen auf, die jede/r sich auch anhand anderer Beispiele stellen und somit eine weite Kenntnis über die politsiche, gesellschaftliche aber auch individuelle Dimension der Denkmalerhaltung erlangen kann.

DVD Edition »Haus Tugendhat« Ein Dokumentarfilm von Dieter Reifarth
mit Daniela Hammer-Tugendhat, Ruth Guggenheim-Tugendhat, Ernst Tugendhat, Ivo Hammer u.v.a.
DVD-Release 29.11.2013
Vertrieb: PANDORA FILM GMBH & CO. VERLEIH KG
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Webseite Haus Tugendhat hier
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